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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition)
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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die Szenerie ungläubig, bis die Vernunft Oberhand gewann. Franke war schwer verletzt, Lefeber unbewaffnet. Er steckte die Waffe ein und setzte sich in Bewegung, um der verblutenden Frau zu helfen. Sie lag auf dem Rücken, während die rote Lache unter ihrem Kopf von Sekunde zu Sekunde größer wurde.
    »Erschieß mich doch endlich, du Bullensau!«, kreischte Lefeber hysterisch.
    Hartmann versetzte ihm einen Fausthieb in den Magen. Lefeber stieß ein Grunzen aus, krümmte sich, fiel auf den Rücken und blieb regungslos liegen.
    Hartmann kniete sich neben Franke, ungeachtet der Blutlache. Er versuchte, mit der Hand die verletzte Halsarterie zu ertasten, um sie abzuklemmen. Das Gesicht der Frau war wächsern und totenbleich.
    Ich verliere sie, dachte er. Draußen stehen dutzendweise Helfer und ich verliere die Frau.
    Endlich hörte er sich selbst mit voller Lautstärke nach einem Notarzt rufen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Tür aufschwang und die Rettungssanitäter hereinstürmten.
    Hartmann überließ die Frau den Sanis. Lefeber hatte sich aufgerappelt, saß, den Rücken an die Wand gelehnt, breitbeinig und benommen da.
    »Warum haben Sie mich nicht erschossen?« Mit feuchten Augen sah er Hartmann verständnislos an.
    Hartmann lächelte grimmig. »Du Scheißkerl!«, zischte er unbeherrscht.
    Blitzschnell holte er aus und trat Lefeber mit voller Wucht in die Genitalien. Und schlug abermals zu, während der Mann sich vor Schmerzen auf dem Boden wand. Erst als Abel ihn an der Schulter packte und von Lefeber wegzog, kam er wieder zu sich. Er ließ von dem Mann ab, der zwei zwölfjährige Jungen zu Tode gefoltert hatte und vielleicht bald noch ein weiteres Opfer zu verantworten hatte. Ein dunkler Fleck breitete sich in Lefebers Schritt aus.
    Hartmann wandte sich angewidert ab.
    *
    Die wenigen im Lehrerzimmer Anwesenden staunten nicht schlecht, als die Tür aufschwang und eine Gruppe Polizisten sowie ein Mann im weißen Overall mit einem großen Rollkoffer hereinmarschierten und sich im Raum umsahen. Die Hose eines Polizisten wies an seinen Hosenbeinen in Höhe der Knie Flecken auf. Er wischte sich mit einem Taschentuch die blutigen Hände ab.
    Der Mann im Overall steuerte direkt auf die beiden Kühlschränke zu und riss die Türen auf.
    »Weiß jemand, welche Dinge Lefeber gehören?«
    Ein Kahlkopf mit Lederjacke und krausem Bart schob sich an ihm vorbei und deutete auf ein Behältnis aus Edelstahl, während sich der Mann im Overall Einweghandschuhe überstreifte.
    Der Polizist öffnete das Behältnis. Es enthielt ein Vesperbrot. Er klappte es auf und begutachtete den Belag. Dann klappte er die Dose wieder zu.
    »Vegetarischer Brotaufstrich. Kauft meine Frau auch immer im Reformhaus. Außer dem Hund rührt das Zeug bei uns zu Hause keiner an.« Er drückte dem Kollegen mit der blutverschmierten Hose das Behältnis in die Hand und verschwand ohne ein weiteres Wort durch die Tür.
    »Entschuldigen Sie die Störung«, sagte der Polizist und nickte seinen Kollegen zu. Danach fiel die Tür hinter der Truppe ins Schloss und die Lehrer des Rose-Schlösinger-Gymnasiums blieben wieder sich selbst und ihrer Ratlosigkeit überlassen.
    Der Kahlkopf mit der Lederjacke schüttelte den Kopf. »Kann mir mal jemand erklären, was das zu bedeuten hat?«

2013
    Dienstag, 1. Oktober
    Nora sah ungeduldig auf die Uhr. Schreyer, Dienststellenleiter des Zentralen Polizeipsychologischen Dienstes ZPD und seit heute ihr neuer Chef, ließ sie seit zwanzig Minuten im Vorzimmer warten. Hartmann hatte das nie getan. Hartmann, Leiter der fünften Mordkommission im Frankfurter Polizeipräsidium, die Nora vor vier Wochen verlassen hatte, um hier ihre neue Aufgabe als Psychologin anzutreten. In Hartmanns Team an der Adickesallee hatte eine Politik der offenen Tür geherrscht.
    Nora blickte einmal mehr auf die verschlossene Tür zu Schreyers Büro und fragte sich, ob der Wechsel in diese Stabsstelle ein Fehler gewesen war. Doch es war wohl unangebracht, bereits am ersten Arbeitstag ihre jüngste Karriereentscheidung in Zweifel zu ziehen.
    »Ich frage mal nach, wie lange es noch dauert.« Schreyers Sekretärin, eine zerknitterte Schwarzhaarige mit etwas zu viel Rot auf den Lippen und mütterlicher Miene, stand auf und klopfte. Nach einer gedämpften Aufforderung steckte sie den Kopf durch die Tür, nur um sie gleich wieder zu schließen.
    »Sie sind jeden Moment fertig.«
    Es dauerte noch eine Ewigkeit, bis sich die Tür zu Schreyers Büro
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