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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition)
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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warteten, trat der Kriminalkommissar ungeduldig von einem Bein auf das andere.
    »Musst du aufs Klo?«, juxte sein vermummter Kollege, die Mündung seiner Pistole in den Himmel über ihnen gerichtet.
    Hartmann lächelte matt.
    »Glaubst du, die Jungen leben noch?«
    »Ich hoffe es«, sagte Hartmann wider besseres Wissen. Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.
    Die Zwillinge, Schüler aus Lefebers Kunst-AG, waren seit über vier Wochen verschwunden. Gestern hatte Ina Franke, Lefebers Kollegin am Gymnasium und seine ehemalige Lebensgefährtin, die Polizei verständigt: Sie hatte einige persönliche Dinge aus Lefebers Haus holen wollen und war in der Garage auf zwei Jungenfahrräder unter einer Kunststoffplane aufmerksam geworden. Franke hatte die Fahrräder von mehreren Dutzend Fahndungsplakaten im Rhein-Main-Gebiet wiedererkannt – auf ihnen hatte man die Jungen zuletzt gesehen.
    Zwar war Lefeber zu Beginn der Ermittlungen wie alle Lehrer, Eltern und Freunde der vermissten Jungen befragt worden, doch dabei war den Beamten nichts Ungewöhnliches aufgefallen, seine Aussagen hatten ebenso schlüssig wie glaubwürdig gewirkt.
    Frankes Beobachtung hatte Hartmanns Chef, den Leiter der mit den Ermittlungen betrauten Sonderkommission, in Alarmbereitschaft versetzt. Es passte alles zusammen: ein Täter aus dem unmittelbaren Umfeld der Jungen. Laut Auskunft der Schule war Lefeber in den Wochen nach dem Verschwinden mehrmals einige Tage krankgeschrieben gewesen. Er hatte angegeben, die Angst, den Jungen aus seinem Kurs sei möglicherweise etwas zugestoßen, habe ihm psychisch stark zugesetzt.
    Und dann hatte eine Recherche in der Datenbank etwas ergeben, das kaum als Zufall gelten konnte: Im Stadtteil Bonames waren in den letzten zwei Jahren immer wieder Kinder von einem unbekannten Autofahrer angesprochen worden. Bonames lag nur wenige Autominuten von Riedberg-Bonifatiusbrunnen entfernt, dem Stadtteil, in dem Lefeber seit Antritt seiner Stelle im Schlösinger-Gymnasium vor zwei Jahren wohnte. Lefebers Auto entsprach der Beschreibung eines Zeugen. Nach all diesen Treffern hatte es kaum eine Viertelstunde gedauert, beim Richter Haftbefehl und Durchsuchungsbeschluss zu erwirken.
    Da die Polizei vermeiden wollte, dass Lefeber die Jungen, sofern sie noch lebten, während des Zugriffs umbrachte, wartete man damit, bis er das Haus verlassen hatte.
    »Werner?« Abels quäkende Stimme drang aus dem Funkgerät. »Wie lange braucht der Typ bis zu uns mit dem Fahrrad?«
    Eine Welle der Panik brandete in Hartmann auf. Er nahm das Mikro von der Schulter. »Heißt das, er ist noch nicht aufgetaucht?«
    »Würde ich sonst so dämlich fragen?«
    Die Kollegen waren keine fünfhundert Meter entfernt an der Strecke postiert, die Lefeber nach Frankes Auskunft zur Schule nahm. Da man nicht wusste, ob er bewaffnet war, sollte der Zugriff außerhalb des Wohngebiets stattfinden. Doch entweder hatte Lefeber Lunte gerochen, was Hartmann bezweifelte, oder er hatte ausgerechnet heute beschlossen, von seiner Gewohnheit abzuweichen.
    Das Schloss knackte. Die Haustür sprang auf. Atemlos lauschten die Polizisten: Falls es eine Alarmanlage gab, wäre sie in diesem Moment ausgelöst worden. Doch im Haus herrschte Totenstille.
    »Werner?«, ertönte es fordernd aus dem Lautsprecher des Walkie-Talkies. »Was ist denn nun?«
    Hartmann musste umgehend eine Entscheidung treffen. Das Leben der Jungen hatte allerhöchste Priorität.
    »Fahr zur Schule, Felix. Sobald wir hier fertig sind, komme ich nach. Unternehmt nichts ohne uns.«
    Der Techniker räumte seinen Platz.
    »Und ruf die Franke an. Sie soll sich keine Sorgen machen.«
    Hartmann trennte die Verbindung und atmete tief durch, dann nickte er dem Leiter des Sondereinsatzkommandos zu und stieß mit dem Stiefel die Tür weit auf. Die vermummten Polizisten stürmten das Haus.
    Überall Fliesenboden im Erdgeschoss, selbst im Wohnzimmer. Hartmann hatte nie verstanden, was die Leute veranlasste, diesen Bodenbelag in Wohnräumen zu wählen. Ansonsten war der Raum modern und geschmackvoll eingerichtet. Wenige ausgesuchte Möbel mit klaren Linien, eine Orchidee auf einem Esstisch aus Stahl mit Glasplatte, ein intensiv leuchtendes abstraktes Bild an der Wand über dem verglasten Kamin.
    Hartmann öffnete eine Tür, hinter der er die Kellertreppe vermutete. Sein Blick fiel in einen Vorratsraum, angefüllt mit Konserven und Getränken. Eine Durchreiche, die einen Blick in die Küche gestattete. Reste eines Frühstücks:
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