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Die Voegel der Finsternis

Titel: Die Voegel der Finsternis
Autoren: Victoria Hanley
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hast du nicht sofort gemeldet dass Maeve und Devin der Arbeit ferngeblieben sind?", wollte Lord Indol wissen.
    „Ich hatte gehört, sie seien verkauft worden, Herr. Ich hatte gedacht, sie seien schon bei ihrem neuen Gebieter."
    „Und das Geschwätz der Sklaven hast du für bare Münze genommen?"
    Orlo wünschte, er wäre mit einem stärkeren Herz zur Welt gekommen. Am liebsten hätte er geschrien, dass er natürlich auf das Geschwätz der Sklaven hörte, wer sonst teilte ihm irgendetwas mit? „Du hast deine Pflichten verletzt", sagte Lord Indol. „Es tut mir Leid, Herr. Ich wusste es nicht." Orlos Knie schmerzten. Im Badehaus wurde er gebraucht. Er wollte sich in eine Ecke verkriechen und für Maeve beten. Lord Morlen zeigte auf die zusammengesunkene Oberin. „Diese Sklavin sagt, das Mädchen habe ein kostbares Seidenkleid getragen. Woher sollte eine Sklavin ein solches Kleid haben?"
    Lord Indol zog sein schmales Gesicht in Falten, dass es aussah wie eine ausgetrocknete Frucht. „Ihre Mutter war Näherin. Sie muss das Kleid genäht und irgendwo verborgen haben."
    „Dieses Haus wird von Nachsicht beherrscht, Lord Indol. Eure Oberinnen haben nur die notwendigsten Narben. Eure Näherinnen werden nicht überwacht — ein ganzes Kleid wurde genäht, ohne dass jemand davon wusste. Verflucht sei die Frau, dass sie gestorben ist." Lord Indol hustete. „Auch wenn sie noch lebte, hätte Lila sich niemals zwingen lassen, etwas zu sagen. Sie
    hätte Euch nicht verraten, wo Ihr nach Maeve suchen sollt."
    „Ich hätte sie nicht zwingen müssen", sagte Lord Morlen. „Eine Nacht von Träumen hätte genügt - und ein Besuch in diesen Träumen."
    Orlos Herz hämmerte so laut, dass er fürchtete, Lord Morlen könnte es hören. Dann stimmt es, was man sich von ihm erzählt.
    Lord Indol schien keine Worte zu finden. „Es macht nichts", sagte Morlen mit einem Ausdruck, als weidete er sich an der Angst im Gesicht seines Gastgebers. „Heute Nacht kann ich Maeve selbst in ihren Träumen besuchen. Und bis dahin werde ich kaiserliche Soldaten anwerben und sie anweisen, sämtlichen Handel mit Delans zu unterbinden und die Stadt zu durchsuchen. Wird sie bis zum Abend nicht gefunden, werde ich morgen früh wissen, wo sie sich aufhält."

 
4
    Jasper Thorntree hatte die Nachtschicht des alten Kutschers Thom übernommen. Sein erster Passagier war ein weinseliger Edelmann, der in eines der reichen Wohnviertel gefahren werden wollte. Jasper beobachtete ihn, wie er durch seine Haustür schwankte, dann fuhr er weiter.
    Im Schein der Straßenlaternen tauchte eine eilige Gestalt in wehenden Röcken auf. Neugierig verlangsamte Jasper seine Fahrt, er wunderte sich, was eine Dame um diese späte Stunde auf der Straße zu suchen hatte.
    Als er auf ihrer Höhe war, winkte sie ihm und er hielt an. Sie war doch nicht allein, sondern trug einen schlafenden Jungen in den Armen. Im Schein der Kutschenlampe sah er ihr jugendliches, weiches Gesicht. Das Gesicht des Jungen war von Verbänden verdeckt. Frische Schnitte, aber sie trägt ihn zärtlich im Arm. Reich. Ich werde die Reichen nie begreifen.
    Atemlos, im Akzent einer Hochgeborenen, befahl sie ihm, sie zum Anwesen von Lord Hering zu fahren und von dort weiter bis zu einem bestimmten Punkt,
    den sie ihm weisen wollte. Nun, bis dorthin war es ein weiter Weg. Er würde in dieser Nacht keine anderen Fahrten mehr annehmen können. Das sagte er ihr auch.
    „Ich kann zahlen", antwortete sie. Ihre Stimme war ebenso lieblich wie ihr Haar. Jasper hätte ewig dieser Stimme lauschen können. Doch sie schwieg und wartete auf seine Antwort.
    Jasper musterte sie verwundert. Er hatte schon viele Kleider gesehen, aber noch keines wie das ihre. Es sah aus, als seien Stücke edelster blauer Seide aus hundert verschiedenen Stoffballen zusammengenäht worden. In der Hand hielt sie ein zerschlissenes Tuch. Wenn er seine Fracht melden würde, könnte er sicher die Gunst irgendeines Lords gewinnen.
    Doch Jasper legte keinen Wert auf die Gunst der Herren. Er war froh, achtzehn Jahre überlebt zu haben, ohne versklavt worden zu sein. Das war ihm nur gelungen, weil er sich, nachdem er mit zwölf Jahren Waise geworden war, als Trottel ausgegeben hatte, weshalb kein Herr ihn wollte. Als Freier konnte er so manches, was die Herren gern gewusst hätten, für sich behalten.
    „Steigt ein", sagte er. Noch eine Merkwürdigkeit fiel ihm auf, als er kurz ihre Füße unter dem langen, weiten Rock zu sehen bekam. Sie trug keine
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