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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Autoren: Hannes Wertheim
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sein Entschluß gefaßt. »Ich hole ihn erst, wenn du weißt, wem sein Herz gehört.«
    Columba riß die Augen auf. »Sein Herz gehört?«
    Er sah, daß er ihres mit den nächsten Worten zerreißen würde. Die Worte forderten mehr Mut von ihm als manche gerittene Attacke. »Tringin ist sein Liebchen, Columba.«
    »Unmöglich.« Lachend schüttelte die Schwester den Kopf, bis er sauste.
    »Es ist die Wahrheit. Er selbst hat es mir gesagt. Er selbst hat mich gebeten, sie im Troß nach Köln mitreiten zu lassen. Lazarus bat mich, sie unter meinen besonderen Schutz zu stellen, damit kein anderer ihr nahe komme.« Tiefes Schweigen.
    Grölende Stimmen wehten zu ihnen herüber, Trinklieder und derbes Schäkern.
    »Soll ich ihn nun hereinholen?« fragte Melchior heiser.
    »Nein«, sagte Columba ruhig, »nein. Laß mich schlafen, einfach nur schlafen.«
    Als der Feldhauptmann aus dem Bretterverschlag trat, wartete Lazarus bereits ungeduldig. »Was sagt sie? Wie geht es ihr?«
    »Sie will schlafen.«
    »Sie will mich nicht sehen?« Lazarus’ Stimme klang verzagt. Der Feldhauptmann schüttelte nur stumm den Kopf.
    »Laß nur, Lazarus«, beruhigte ihn Rebecca, »du tust mehr für sie, wenn du heute nacht hier Wache hältst.«
    »Ich bleibe bei dir!« rief Tringin, und Melchior bereute nicht länger seinen Entschluß, die Wahrheit gesagt zu haben. Schroff wandte er sich ab. »Ich muß ins Quartier«, sagte er, »wohin kann ich dich mitnehmen, Rebecca? Zum Doktor Birckmann?«
    Rebecca schüttelte den Kopf. »Ich kehre in mein Haus zurück. Niemand wird mich davon abbringen. Und du, Tringin, kommst mit mir. Eine hübsche Beginentracht wird dir gut stehen und macht dich sicher.«
    »Warum können wir dann nicht auch Columba mitnehmen?« fragte das Mädchen.
    »Sie ist noch zu schwach für den Ritt. Außerdem fürchte ich, daß ihr Vater sie bei mir suchen könnte.«
    Zögernd willigte Tringin endlich ein. Lazarus versprach, Wache zu halten, bis der Feldhauptmann ihn in der Morgendämmerung ablösen würde. Zum Abschied nahm Don Seraph ihm das Versprechen ab, Columba nicht im Schlaf zu stören. Lazarus versprach es mit versteinerter Miene, und so sehr Melchior den Freund für einen Moment gehaßt hatte, so sehr war er davon überzeugt, daß der Bartlose sein Versprechen halten würde.
    Der kölnische Klüngel, so konnte Lazarus während seiner Nachtwache feststellen, funktionierte auch zwischen Bettelvolk und Mauerwächtern. Gegen einige Kannen starken Grutbiers bewiesen die von den verschiedenen Zünften entsandten Wachleute eine erstaunliche Fähigkeit im Übersehen von menschlichen Behausungen und im Überhören lärmender Geselligkeit. Das aber bedeutete auch, daß im Falle eines Angriffs auf den Bretterverhau – vielleicht um nach Plündergut zu suchen oder aus reinem Mutwillen – die Mauerwächter ebenso blind und taub sein würden. So wurde es für Lazarus eine anstrengende Nacht. Eben erst von seiner schweren Verwundung genesen, kosteten ihn die Konzentration, die beständige Aufmerksamkeit doppelte Kraft. Freudig begrüßte er darum die ersten Zeichen der Morgendämmerung. Der Himmel schien in Blut zu schwimmen, die Sonne warf, bevor sie aufging, einen Strahlenkranz über die Erde. Das Gesindel und Bettelvolk lag schnarchend in Buden, Zelten oder unter den Mauerbögen. Ihr Grunzen und Schnarchen vermochte nichts gegen den Frieden dieses glühenden Himmels. Trotzdem war Lazarus’ Herz leer, kein Sonnenstrahl schien in diese Finsternis. Als sich sanft eine Hand auf seine Schulter legte, glaubte er – wie damals beim Gasthof in Heerlen – die Knochenhand des Todes zu spüren.
    Langsam wandte er sich um. Aber nicht der Tod, das Leben stand vor ihm. Columba. Wie traurig sie ihn ansah.
    »Ich wollte dich noch ein letztes Mal sehen«, sagte sie leise und schluckte ihre Tränen hinunter. Trotzig warf sie den Kopf zurück. Ein leiser Wind spielte mit ihrem schwarzen Haar.
    »Ein letztes Mal?« fragte Lazarus traurig.
    »Ein letztes Mal, bevor ich in den Konvent zurückkehre.«
    Lazarus sah sie unverwandt an. Jeden Zug ihres Gesichts, den Glanz ihrer dunklen Haare, die Augen, den Mund wollte er für immer in sein Gedächtnis einbrennen. Dieses Bild war alles, was er noch von ihr haben durfte.
    »Du hast mir also nicht verziehen«, sagte er mit belegter Stimme.
    »Ich habe dir alles verziehen, was du um deinen Vater getan hast«, sagte das Mädchen und senkte die Lider, um ihre Tränen mit den Wimpern aufzuhalten.
    »Was gibt es
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