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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Autoren: Hannes Wertheim
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sah sie in das gleißende Blau des letzten Januarmorgens. Unten im Hof klapperten und schlitterten Metzgersboten über das eisglatte Pflaster, Ochsenschlegel auf den Schultern. Karren voll frisch geschlachtetem Federvieh, Kapaune, Gänse, ein zuckender Schwan, wurden herangerollt. Ihren weichen Leibern entstieg noch der warme Atem des Lebens. Federn taumelten wie Schneeflocken durch die Luft. Blanke Fische schillerten in hölzernen Tonnen, die ein Fuhrknecht in den Hof zerrte.
    Die Küchenmägde veranstalteten ein Geschrei über den lahmen Gang der Lieferanten, nur darum, weil sie selbst sich zur nimmermüden Eile anmahnen wollten und doch zum Warten verurteilt waren. Das Fleisch zum Braten, das Geflügel zum Rupfen, der zu putzende Fisch kamen spät. Der feierliche Einzug der spanischen Delegation aus den Niederlanden hatte den Weg vom Hafen ins Ratsviertel und den Heumarkt mit seiner Fleischhalle versperrt. Ketten hatten die Gaffenden in den Gassen zurückgehalten.
    Ein Holzknecht hob nun neckend ein gewaltiges Scheit und drohte mit Prügeln, kreischend sprang eine Magd zur Seite, glitt aus auf einer Spur von Ochsenblut und Eis, fiel fluchend hin und sorgte für noch mehr Gelächter, Geschrei. Eile, Eile, ein Fest mußte vorbereitet werden. Im Küchenhaus an der Stirnseite des Hofes loderten längst die Flammen im mannshohen Kamin, glühten und sangen die Eisenkessel, sausten die Messer auf den Kohl herab, simmerte es in den Töpfen.
    Kein Geringerer als Don Cristobal de Castellanos, Finanzsekretär der spanischen Regentin der Niederlande, wurde für den Abend im Haus des Kaufherrn Arndt van Geldern erwartet. Dessen Tochter Columba drehte sich unternehmungslustig im Wandelgang der Turmspitze, bis es ihr schwindelte. Ein Fest am Abend, nun ja, aber solch ein Morgen! Die eisige Luft des letzten Atemzugs strich über ihre Lungen, ihre Zähne waren stumpf und glatt vor Kälte. Sie wollte nur eines – hinaus. Hinaus zum Rhein, der seit vier Tagen eine feste Eisdecke hatte und die Schiffe der Spanier, die unterwegs waren, um dem zur Jahreswende gekürten Papst Pius V. in Rom zu huldigen, zur Rast zwang. Eben jetzt war die Gelegenheit für einen Ausflug günstig: Die Luft in den Gassen war winterlich rein, der Vater fortgeeilt zum Empfang des hohen spanischen Gesandten ins Rathaus, das Gesinde geschäftig, die Schwester gewiß im Lautenspiel versunken. Juliana liebte es zu glänzen als Kleinod, Schmuckstück, Engel des Vaters. Wie er war sie flämisch blond, dazu weiß und weich und demütig fromm und – dachte Columba, indem sie die Gedanken an die Ältere energisch abschnitt – verschlagen wie ein Roßtäuscher. Sie spuckte aus.
    In ihrem Rücken klapperten Schritte, keuchte es die Treppen herauf. »Hab ich es doch gewußt, hab ich doch«, tönte es stoßweise, »gewußt, daß Ihr, puuh, daß Ihr hier seid.« Die ältliche Zofe stand – nach Atem ringend – auf der obersten Stufe. Spät kam ihr Entsetzensschrei: »Und nur in Mieder und Rock. Der Tod wird Euch holen.« Ihre mageren Hände griffen nach Columbas Kleid, zerrten energisch daran.
    Das Mädchen riß sich lachend los. »Ist es nicht herrlich hier? Eine Wonne, eine Lust? Mertgin, komm, ich zeige dir den Himmel und Gottes Thron«, rief sie übermütig.
    Die Magd bekreuzigte sich rasch und murmelte ein frommes Sprüchlein, dann raffte sie die Röcke, packte Columba beim Handgelenk und zerrte sie die Wendeltreppe hinab in den zweiten Stock des Hauses, wo das Schlafgemach der jungen Herrin lag.
    Bald darauf klappten Truhendeckel, wühlte die Zofe in Miedern, Leibtüchern, Seidenschürzen und Spitzen. »Der goldene Brokat, wo ist der goldene Brokat? Das Mieder aus Granatapfelsamt? Das Kleid mit den goldenen gestickten Papageien? Oh, diese Hast, diese unvermutete Aufregung«, greinte sie.
    Columba zuckte stumm mit den Schultern. »Es wird sich schon finden, oft habe ich es in letzter Zeit nicht getragen.«
    »Heute abend werdet Ihr es tragen«, erwiderte Mertgin ungewohnt streng. »Die Ehre des Hauses gilt es zu zeigen. Die Spanier lieben die Zeremonie, die Würde.«
    Columba lief zur Tür des Zimmers. »Wo wollt Ihr wieder hin?« fragte die Zofe scharf. »Euer Haar muß gewaschen und neu geflochten werden. Fünfzig Perlen und das goldene Netz liegen bereit. In der Badstube brennt bereits der Kamin. Wir müssen eilen, bevor Juliana zum Bad geht. Euer Vater will auch Euch von Eurer schönsten Seite sehen. Und das Kleid, der goldene Brokat, muß gebürstet und
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