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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Autoren: Hannes Wertheim
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ist über alle Religionen, über das Gezänk dieser Welt. Was wäre das für eine Gemeinschaft von Gläubigen, die sich über alle Konfessionen hinweg die Hand reichten.«
    Sie bogen in den Platz vorm Rathaus ein. »Tante, Tante, wer hat dir nur solche Ketzergedanken eingegeben?«
    »Die Vertreter der höchst heiligen römisch-katholischen Kirche, die mir mit der Folter drohten, damit ich ihnen munter Lügen erzähle.«
    »Wie hast du die Folter überstanden?«
    »Es gibt gewisse Kräuter, die dir die Stärke dazu verleihen, und dank meines Geschicks, im rechten Moment zu schweigen, um dann wieder zu reden, kamen sie nur bis zur Nadelprobe. Das kochende Blei, das sie meinen Füßen zudachten, hätte ich gewiß nicht ertragen.«
    Melchior zuckte bei dem Gedanken an das Blei zusammen. »Aber«, sagte er schwach, »immerhin heißt es, daß das Erleiden ungerechter Folter einem im Jenseits die Zeit im Fegefeuer verkürzt.«
    Rebecca schüttelte verächtlich lachend den Kopf. »Ich fürchte, die Hölle, die diese Herren meinen, ist hier auf Erden allein. Ich schwöre dir, lieber Neffe, wenn sie nur weiter so mit ihren treuesten Anhängern verfahren, wird es bald nur noch wenige geben.«
    »Oder einen Krieg wie in den Niederlanden.« Einen letzten Hauch von Begeisterung konnte er bei diesen Worten nicht unterdrücken.
    »Krieg sagst du? Ja, ich fürchte, ohne ihn wird es nicht abgehen.« Sie schauderte kurz. »Vielleicht war es das, was mir alle diese schrecklichen Visionen der vergangenen Monate sagen sollten. Die Welt ist auf dem Weg zur Hölle. Ich sah Priester, die zu Teufeln wurden, und Antipapisten, die in Wahrheit unsere Erlöser sind. Alles scheint verkehrt, nichts gehorcht mehr der alten Ordnung.«
    Melchior betrachtete die Tante von der Seite. Unter die Philosophen war sie also gegangen. Genau wie sein Freund Lazarus. Seltsames Geschlecht, diese Philosophen, stets von einem Schleier der Traurigkeit umhüllt. Gut nur, daß Lazarus eine wie die Tringin zur Seite hatte. Ein munteres Mädchen, handfest; schmuck würde sie als Marketenderin und Soldatenbraut aussehen. Viel zu schade, um nur Troßhure zu sein oder für eine Maienehe, die nur für einen Feldzug hielt. Diese Tringin würde dem Bartlosen die Flausen schon aus dem Kopf treiben. Obwohl, dachte er seufzend, ich hätte gerne ein paar eigene Flausen gehabt, damit eine Tringin sie mir aus dem Kopf treiben könnte.
    12
    D ie Visitation war beendet. Immer noch schwelten einige Balken, hing der Geruch kalten Rauches in der Luft. Weiße Ascheflocken waren weit über das Grundstück verteilt. Einige Gärtner stiegen in schweren Holzpantinen durch die Trümmer und löschten die letzten Brandherde mit Wasser, das sie aus dem Gartenbrunnen zogen. Der Gewaltrichter stand neben der Bahre, auf die man die vollends verkohlte Leiche einer Frau gehoben hatte. Mit einem Stock stocherte er daran herum, hob schwarze Fetzchen hoch, von denen man nicht sagen konnte, ob es einmal Haut oder Stoff gewesen war. Der Nachtwächter stand mit lächerlich stolzer Miene neben ihm. Fast sah er aus wie ein gut abgerichteter Jagdhund, der soeben brav die Beute apportiert hat.
    »Und du sagst, es war eine Begine?« fragte ihn der Gewaltrichter.
    Eifriges Nicken. »Bei meiner Seel. Den grauen Schleier und das graue Gewand trug sie.«
    »Kannst du sie nicht etwas genauer beschreiben? Ich suche nach zwei Beginen, die aus dem Konvent der Frau Rebecca Scarpenstein stammen. Eine junge, dunkelhaarige Person von schlankem Wuchs ...«
    »Schlank?« unterbrach ihn der Nachtwächter, dann formte er mit beiden Händen zwei Körbchen vor seiner Brust, die schwer zu wiegen schienen, »wenn Ihr das schlank nennt?«
    »Spar dir deine obszönen Gesten«, schalt ihn der Gewaltrichter streng.
    Der Nachtwächter setzte wieder seine Hundemiene auf und fuhr fort: »Nein, schlank war sie nicht eben. Auch nicht mehr sehr jung, wiewohl gut erhalten.« Er war feinen Blick auf den zusammengekrümmten, verbrannten Körper. »Jedenfalls besser erhalten als jetzt.« Er konnte ein Kichern nur mit Mühe unterdrücken.
    Seltsam, dachte der Gewaltrichter kurz, wie viele Menschen der Anblick des Todes zum Lachen reizt. Selbst bei Hinrichtungen hatte er schon die ausgelassensten Heiterkeitsausbrüche erlebt.
    Er beendete sein Verhör und wies seine Knechte an, die Bahre zu nehmen und zum nächsten Totengräber bei St. Severin zu schaffen. Dort sollte sie bleiben, bis der Greve und vor allem Galisius sie in Augenschein genommen
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