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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Autoren: Hannes Wertheim
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Erhebung in den höchsten Stand und damit seine Erhöhung eingab.
    Einen Sohn aus altem kölnischen Patriziergeschlecht hatte er ihr zugedacht, einen mit Geld, Macht, Einfluß und Verstand. Alles hatte er getan, um ihre Reize zu unterstreichen, ihre köstliche Erscheinung zu vervollkommnen. Kleider, erlesenster Schmuck, eine schwarze Dienerin, Unterricht in Lautenspiel, Gesang und höfischem Tanz. Eine eitle, dumme Puppe hatte er herangezogen. Unwillkürlich mußte er an Columba denken. Wie anders sie war. Freilich zu ungestüm, zu dunkel, zu eigenwillig und doch – im Gegensatz zu Juliana – leidenschaftlich in ihrer Liebe zur Wahrhaftigkeit. Zum ersten Mal spürte er so etwas wie das Gefühl eines Verlustes, während er die Eigenarten und Eigenschaften seiner Jüngsten still für sich aufzählte. Unsinn, dachte er wütend und betrachtete Juliana, seinen ehemals ganzen Stolz. Vorbei, verloren, vertan.
    Wortreich beteuerte sie, in den elenden Junker verliebt zu sein. Diesem verschuldeten Deppen, der gerade gut genug gewesen war, ihn von der ungestümen Columba zu befreien. Juliana hingegen für ein paar Hafenrechte herzugeben war ein mehr als schlechtes Geschäft.
    »Erspare mir weitere Geständnisse der Leidenschaft. Sie stehen dir nicht zu Gesicht«, sagte er hart.
    »Vater«, protestierte Juliana und verstummte, als sie seinen feindseligen Blick auffing. Sie schlug die Augen nieder und spielte nervös mit den Bändern ihrer Samthaube.
    »Ich erkenne eine Lügnerin, wenn sie vor mir sitzt. Also, was bringt dich wirklich dazu, eine Ehe mit diesem widerwärtigen Flamen eingehen zu wollen?«
    Juliana wand sich in dem hohen Lehnstuhl, lenkte ihren Blick zum Fenster, schaute auf ihre Füße. Ihr Vater blickte sie unverwandt an, und ihr war, als müsse sie unter seinem Blick verbrennen. Ein Klopfen an der Tür befreite sie aus ihrer unangenehmen Lage.
    Arndt van Geldern schaute auf, ein Handelsdiener stand in der Tür. »Herr, der Gewaltrichter ist eben eingetroffen, er bittet dringend um eine Unterredung. Die Angelegenheit erlaube keinen Aufschub.«
    Van Geldern erhob sich. Im Gehen warf er einen letzten Blick auf seine Tochter und stutzte. Ihr Gesicht war tiefrot, sie atmete heftig. Er faßte die Armlehnen ihres Stuhles und beugte sich über sie. »Was ist dir?« fragte er drohend.
    »Vater«, sagte Juliana atemlos, »Vater, er ist gekommen, um dir von einer Verhaftung zu berichten.«
    »Einer Verhaftung?«
    Juliana drückte sich tiefer in den Stuhl. »Columba«, flüsterte sie voller Angst.
    »Ich verstehe nicht?«
    »Man hat sie heute nacht im Kelterhaus des Weingartens aufgegriffen.«
    Van Geldern erstarrte für einen Moment, seine Hände umklammerten die beiden Armlehnen, dann löste er die Rechte, holte aus und versetzte Juliana eine Ohrfeige, die ihr fast die Besinnung nahm. Jäh wandte sich der Kaufmann von ihr ab und verließ das Kontor.
    Juliana lag stumm in dem Stuhl, langsam stieg ihr ein Schluchzen in die Kehle. Das Morgenlicht stach ihr in die Augen, und sie begann zu weinen. Immer heftiger kamen die Tränen, immer wilder schluchzte sie, bäumte sich in dem Stuhl auf und entkam dem eigenen Elend nicht. Ein unbekanntes Gefühl marterte sie, lange suchte sie nach einem Namen dafür. Reue. Ja, sie bereute, was sie getan hatte. Sie bereute bitterlich. Hätte ihr Vater sie so gesehen, er hätte gewußt, daß ihre Zerknirschung nicht vorgetäuscht war.
    Van Geldern stürmte in den Morgensaal. Beim Kamin wartete der Gewaltrichter. Mit Erstaunen registrierte van Geldern, daß die Stirn des erpresserischen Lumpen von Sorgen und echtem Ernst umwölkt war. Brachte er wirklich die schreckliche Nachricht, die Juliana ihm angekündigt hatte? Mit Mühe gewann der Kaufmann seine Fassung wieder, stützte sich aber am Tisch ab, denn er fühlte, daß ihm die Beine schwach wurden.
    »Seid gegrüßt«, sagte er hölzern, »wollt Ihr eine Erfrischung?«
    Der Gewaltrichter winkte ab. »Nein, ich danke Euch. Ich komme mit schlechten Nachrichten.«
    Van Geldern straffte den Rücken, um den Schlag zu empfangen.
    »Es geht um ...«
    »Meine Tochter?«
    Verwundert blickte der Gewaltrichter auf. »Eure Tochter? Nein. Ich weiß noch nicht, wo sie ist, aber sorgt Euch nicht, meine Büttel werden sie schon aufspüren.«
    Van Geldern bereute seinen vorschnellen Einwurf sofort. Jetzt hüllte er sich in abwartendes Schweigen.
    »Heute morgen«, erklärte der Gewaltrichter, »sprach ich beim erzbischöflichen Palast vor. Als Vertreter der
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