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Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit

Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit

Titel: Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Autoren: Kösel-Verlag <München>
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Trainingsinstanzen geschaffen werden. So können in modernen Gesellschaften grundlegende Erfahrungen nicht mehr im Lebensvollzug gemacht werden, weil Gesetze dies verregeln, ängstliche Eltern es nicht zulassen, die Unwirtlichkeit der Städte keinen entsprechenden Raum bietet und persönliches Fehlverhalten im Zusammenhang mit moderner Technik oder globalen Wirtschaftssystemen in seinen konkreten Auswirkungen kaum noch erkennbar sind. So wachsen Kinder in der Atmosphäre von Treibhäusern heran, ständig überwacht und geregelt, damit nicht per Zugluft etwas von außerhalb eindringt. Um ein Bestehen außerhalb dieser Glashaus-Welt wenigstens ansatzweise zu ermöglichen, existieren kurzzeitige Adaptionsprogramme. Das Leben-Lernen wird ins Erziehungslabor verlagert, mit speziellen Übungsreihen, kybernetisch aufgebauten Informationssequenzen und studiertem Fachpersonal. Pädagogische Reflexionen und Forderungen nach einsichtigen erzieherischen Handlungsansätzen sind demnach weitgehend die Konsequenz einer sich widernatürlich äußernden Moderne.
    Ein Beispiel soll der Veranschaulichung dienen. Vor einigen Jahren saß ich nach einer Segelbootsfahrt am Ufer des Ijsselmeers in einem mir bis dahin unbekannten Hafen. Ein nettes, kleines Restaurant lud zur Einkehr ein. Die Gästeterrasse war zu drei Viertel über dem Wasser erbaut. Die Abgrenzung zwischen der Verweilfläche und dem Wasser bestand lediglich aus einer aufgenagelten Dachlatte. Die Stühle hatten keine große Distanz zu dieser ›Begrenzung‹. Beim Aufstehen oder Hinsetzen war also eine gewisse Achtsamkeit aus Gründen des Selbstschutzes geboten. Die Tische waren gut besetzt, es gehörten mindestens sieben Kinder im Alter zwischen drei und zehn Jahren zu den Gästen.
    Da saß ich nun als richtliniengeprägter Deutscher und überlegte, wie viele Verstöße gegen gesetzliche Regelungen, Bau- und Ordnungsvorschriften in unserem Land zu ahnden wären. Aber weder die Kinder noch die Erwachsenen schienen solch eigenartige Gedanken zu haben. Es gab keine Verhaltensanordnungen, keine Vorsichtshinweise nach dem Muster »Pass auf, dass du nicht ertrinkst« – und es gab auch keine Probleme. Die Kinder spielten Fangen und tollten auf der Holzfläche zwischen Tischen und Stühlen herum. Bei uns im Rheinland hätten sicher Väter entsetzt auf eine solch fahrlässige Situation reagiert, mit einer Klage gegen den Betreiber gedroht, Mütter hätten kreischend den Nachwuchs von der Gefahrenkante fernhalten wollen und mit großer Wahrscheinlichkeit wäre mindestens eines unserer supertoll erzogenen Wohlstandskinder am Ende doch im Wasser gelandet. Aber in den Niederlanden – wie in Venedig oder anderen vergleichbaren Gegenden – ist Wasser so allgegenwärtig, dass Kinder wohl mit der ›Muttermilch‹ die entsprechenden Verhaltensweisen im Umgang mit diesem Element einsaugen.
    Fast zeitgleich, so las ich in einer Tageszeitung, hat ein Vater in Paderborn per Gerichtsbeschluss die Stadt verpflichten wollen, alle Wasserläufe mit entsprechenden Schutzgittern zu versehen, nachdem sein Kind in einen der Paderquell-Seen gestürzt war. Bei meinem letzten Besuch in dieser schönen Stadt sah ich, dass ihm kein Erfolg beschieden war. Gut so, denn die Folgen für den Nachwuchs aus Paderborn könnten problematisch sein, wenn er sich erst einmal an Gitter am Rande von Gewässern gewöhnt hätte: Entweder müssten ihm für viele Jahre alle ungeschützten Wassergebiete gesperrt werden oder die geplante Urlaubsreise an Nordsee oder Rhein würde zur nächsten Katastrophe führen. Aber vielleicht gibt es demnächst in jeder Stadt in Wassernähe Mitarbeiter der Tourismuszentralen mit mobilen Gittern, welche dann immer parallel zum Aufenthalt solcher Kinder im Uferbereich ausgerollt werden …
    Dies meine ich, wenn ich oben die Erziehung in Bezug zur Entfremdung von natürlichen Lebenszusammenhängen gesetzt habe. In unserem Kulturkreis ist Letzteres weitgehend Realität, wenn auch in ländlichen Gebieten weniger als in Städten. Das Lernlabor muss demnach für Kinder in solchen Gesellschaften in die Bresche springen. In relativ künstlichen Situationen muss dann zu vermitteln versucht werden, wie es im wirklichen Leben aussieht: dass Wasser z. B. schmutzig sein und ein Hineinfallen zum Ertrinken führen kann.
    Was ist Erziehung?
    Vor einigen Jahren drehte eine pädagogische Kommission in Amerika die Fragestellung »Was ist richtige Erziehung?« um und fragte: Was muss ich tun, damit mein Kind
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