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Die verschwundene Lady (German Edition)

Die verschwundene Lady (German Edition)

Titel: Die verschwundene Lady (German Edition)
Autoren: Earl Warren
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bei ihrer Mutter an. Der Ruf ging durch, aber es nahm niemand ab, obwohl Anne es lange klingeln ließ. Das beunruhigte sie noch nicht.
    Sie schüttelte nur den Kopf. Die neue Liebschaft schien ihre Mutter ziemlich in Anspruch zu nehmen. Sonst war sie um diese Zeit immer zu Hause gewesen. Oder hatte die Mutter die Nacht gar bei ihrem Geliebten in seinem Schloss verbracht?
    Anne kicherte. Wie mochte es in diesem Schloss wohl aussehen? Dem Rolls-Royce und der äußeren Erscheinung von Lord Henry nach zu urteilen, musste er schwerreich sein. Anne glaubte es kaum. Da sagte man immer, es gäbe keine Märchenprinzen mehr auf der Welt, und jetzt, mit vierzig Jahren, hatte ihre Mutter anscheinend doch einen gefunden.
    Die Medizinstudentin frühstückte. Sie aß Hörnchen mit Marmelade, trank Tee und schaute durchs Fenster auf den kahlen Baum hinaus, der im Hinterhof mühsam sein Leben fristete. Spatzen und Meisen saßen in den Zweigen und tschilpten und zwitscherten miteinander. Annes Kater Captain Silver hockte auf der Fensterbank, äugte zu den Vögeln und fauchte mitunter leise.
    Der Kater hätte zu gern einen Vogel gefangen. Da war Anne strikt dagegen. Da sie den Kater kaum hinausließ, bestand wenig Gefahr, dass er einen Vogel erwischte.
    »Schäme dich, Captain Silver, die armen Vögelchen fressen zu wollen«, schalt die Frau mit dem Kater.
    Da klingelte das Telefon. Anne hob ab und meldete sich.
    »Kanzlei Stanwell«, ertönte es am anderen Ende. »Ich verbinde mit Mister Stanwell.«
    Es knackte in der Leitung. Nanu, was will der denn? fragte sich Anne und legte die Stirn kurz in Falten, bis ihr einfiel, dass man das tunlichst unterlassen sollte. Aus kosmetischen Gründen.
    Peter Stanwell war ein Freund von Annes verstorbenem Vater. Von Beruf Hechtsanwalt und Notar, diente er als Testamentsvollstrecker des Dr. Carmichael und war zugleich Vermögensverwalter. Marion Carmichael überließ ihm gern die geschäftlichen Details. Stanwell meldete sich mit der ihm eigenen trockenen Stimme.
    Anne sah ihn in ihrer Fantasie vor sich. Er war ein typischer Brite, konservativ angezogen, trug meist einen Bowlerhut und wurde nie ohne Regenschirm gesehen. Anne hatte ihn noch niemals aufgeregt erlebt. Peter Stanwell stand als treuer und zuverlässiger Freund zu der Familie Carmichael so fest wie der Tower of London.
    »Weißt du, wo deine Mutter sich aufhält, Anne ?«, fragte er, nachdem er sich nach Annes Befinden erkundigt hatte.
    »Nein, Onkel Peter. Gibt es etwas Besonderes?«
    Stanwell kannte Anne von Geburt an.
    »Tja, nun, äh.«
    Er räusperte sich und brummte.
    »Jetzt rück schon heraus mit der Sprache, Onkel Peter.«
    »Das ist eine vertrauliche Angelegenheit.«
    »Was ist es denn diesmal, Onkel Peter ?«, wollte die Studentin wissen.
    Das letzte Mal, als Stanwell so herumgedruckst hatte, hatte es sich darum gedreht, dass Annes Mutter ihm zwei Pfund fürs Taxi vorgestreckt hatte, weil er seine Geldbörse vergessen hatte. Dann war Marion Carmichael auch noch mit einer Freundin zu einem Europaurlaub aufgebrochen und hatte den armen Anwalt Stanwell mit seiner Verpflichtung von zwei englischen Pfund zurückgelassen.
    Es war Stanwell schwergefallen, das Anne zu begründen und ihr die zwei Pfund zu treuen Händen für ihre Mutter zu übergeben.
    »Jetzt sage es schon, Onkel Peter. Es bleibt schließlich in der Familie. Ich werde die Diskretion bestimmt wahren.«
    Anne lächelte.
    Stanwell antwortete ganz ernst:
    »Darauf lege ich auch den größten Wert. Es handelt sich um Geld.«
    »Wieder um zwei Pfund ?«, fragte sie und lächelte verschmitzt.
    »Du weißt also von nichts?«
    »Wenn ich es wüsste , Onkel Peter, würde ich dich nicht fragen? Also spanne mich nicht auf die Folter und sage jetzt endlich, worum es sich handelt.«
    »Das kann ich dir am Telefon nicht mitteilen. Ich muss dich bitten, sofort zu mir in die Kanzlei zu kommen, es sei denn, du wärst dringend verhindert.«
    Anne seufzte. Sie fragte sich, was der alte Umstandskrämer diesmal wieder von ihr wollte.
    »Also gut, ich fahre sofort los. Aber das eine sage ich dir, Onkel Peter: Wenn es wieder nur eine Kleinigkeit ist, werde ich böse.«
    »Es dürfte wohl keine Kleinigkeit sein, Anne. Ich erwarte dich. - G u ten Tag.«
    Anne frisierte sich nochmals, zog nach einem prüfenden Blick auf das Wetter draußen die Regenjacke über und setzte ihre kesse rote Ballonfahrermütze auf und rückte sie vor dem Spiegel übers rechte Ohr. Dann sagte sie Captain Silver, er
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