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Die verschwundene Lady (German Edition)

Die verschwundene Lady (German Edition)

Titel: Die verschwundene Lady (German Edition)
Autoren: Earl Warren
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schüttelte den Kopf.
    Obwohl sie schon allerhand gehört hatte, erstaunte sie die Leidenschaft ihrer Mutter, die sie vordem immer so beherrscht kennengelernt hatte. Man lernte eben nie aus, was andere Menschen, auch ganz nahestehende, betraf.
    Der stattliche Mann verbeugte sich dann auch noch tief und führte Marions behandschuhte Hand an den Mund. Anne hielt das für affektiert. Fehlt bloß noch, dass er seinen Ulster auszieht und für Mom über eine Pfütze breitet, dachte sie.
    Daran dachte der Lord aber nicht. Stattdessen führte er Mrs. Carmichael um seinen Rolls-Royce herum, einen Silver Shadow, wie es nicht viele gab. Mit abermals tiefer Verbeugung riss er für die Geliebte den Wagenschlag auf.
    Mrs. Carmichael bedankte sich und warf ihrem Geliebten eine Kusshand zu. Mit sattem Klang fiel die Autotür zu. Der dunkle Wagen verschluckte Marion regelrecht. Sir Henry - er musste es sein - eilte um den Wagen herum und stieg auf der Fahrerseite ein. Er chauffierte selbst.
    Anne spähte von vorn auf den Wagen. Beim Öffnen der Tür sah sie ein Wappen, nämlich einen Greifen, der eine Art Weltkugel mit einem verschlungenen Band darum in den Fängen hielt. Auf das Band war vermutlich das Familienmotto Seiner Lordschaft geschrieben, ein lateinischer Spruch. Doch ihn vermochte Anne nicht zu erkennen.
    Sie konnte auch das Nummernschild des Rolls-Royce n icht entziffern, sondern sah nur, dass es sich nicht um eine Londoner Stadtnummer handelte. Der Rolls-Royce setzte sich geradezu gravitätisch und lautlos in Bewegung. Die Insassen waren hinter der schwarz schimmernden Frontscheibe nicht zu erkennen.
    Geradezu unwirklich fuhr der Luxuswagen an Anne vorbei und entführte ihre Mutter. Anne war enttäuscht. Sie hatte sich erhofft, mehr von dem geheimnisvollen hochadeligen Geliebten zu sehen, als es der Fall gewesen war. Hätte Anne gewusst , dass ihre Mutter von da an verschwunden sein sollte, so hätte sie gleich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um den hochherrschaftlichen Rolls im Londoner Nebel zu finden.
    So aber ging die Studentin zur U-Bahnstation. Bei dem Nebel fuhr man mit der Subway noch am schnellsten und sichersten, obwohl manchmal ein Volk in den Zügen war, bei dem eine Frau aufpassen musste . Anne fürchtete sich jedoch nicht. Sie war jung, sportlich und überzeugt, sich bei einem Angriff verteidigen zu können.
    Ihre Gedanken waren bei ihrer Mutter und deren Geliebten, Lord Henry. Anne zuckte schließlich die Achseln. Was sollte sie sich den Kopf zerbrechen? Ihre Mutter war alt genug, um zu wissen, was sie tat.
     
    *
     
    I n ihrer Wohnung im Londoner Stadtteil St. Pancras angekommen, wo sie eine möblierte Zweizimmerwohnung bei einer pensionierten Lehrerin hatte, fütterte Anne zunächst ihren Kater Captain Silver und bereitete sich dann das Abendessen zu. Die junge Frau hatte nicht mehr viel im Kühlschrank. Eigentlich hatte sie bei ihrer Mutter essen wollen, die sie sonst auch immer einlud.
    Doch heute war Sir Henry dazwischengekommen.
    »Kannst du auch ein Frauenherz betören, dass es alles vergisst , Captain Silver ?«, fragte Anne den Kater und kraulte ihn am Bauch.
    Captain Silver rollte sich auf den Rücken. Das war für ihn die höchste Wonne. Anne wohnte im dritten Stock. In der Nähe ihres Schlafzimmerfensters führte am Hinterhof die Feuerleiter vorbei. Im Großen und Ganzen war Anne mit den Zimmern recht zufrieden. Das Haus gehörte einer Erbengemeinschaft. Die pensionierte Lehrerin war eine Erbin und hatte eine Etage in ihrem Besitz.
    Sie pflegte immer zu sagen, eigentlich habe sie es gar nicht nötig, zu vermieten, und das tue sie nur, um jungen Leuten ein gutes Werk zu erweisen; Aber natürlich hatte sie es doch nötig. Die übrigen Hausbewohner waren bis auf einen jungen Mann Erben oder deren. Verwandte und Anhang. Anne war die einzige junge Frau im Haus und hatte es entsprechend nicht leicht, was sie jedoch mit Humor und Gelassenheit trug.
    Die Miete war nämlich günstig, die ehemalige Lehrerin, Miss - auf die Anrede Miss legte sie mit ihren 68 Jahren den größten Wert! - Haggarty ein Schatz. Sie kümmerte sich tagsüber um Captain Silver, den Anne nach dem berüchtigten einbeinigen Piraten aus R. L. Stevensons »Schatzinsel« benannt hatte, weil auch der Kater ein Räuber war. Zudem nahm Miss Haggarty für Anne Anrufe entgegen und so weiter.
    Anne legte sich nach dem Essen bald ins Bett. Da Semesterferien waren, schlief sie am nächsten Morgen lange aus. Danach, um elf Uhr, rief sie
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