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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
Autoren: Jane Casey
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aus dem Internet. Steht halt auf solche Sachen. Ich hab ihn gefragt, ob ich mir die mal borgen kann. Bei uns sind ständig die Klatschreporter und die Paparazzi im Garten rumgestiegen, bis zu den Fenstern sind sie raufgeklettert. Tag und Nacht haben sie uns genervt. Ich hab ihm gesagt, dass ich die irgendwie vertreiben muss. Keine Angst, Val, ist völlig legal. Hübsch, oder?« Er drehte die Armbrust ein Stück, damit ich sie besser sehen konnte. Beim Anblick des tödlichen Drahtmechanismus wurde mir endgültig schlecht. Auf diese Entfernung hatten wir keine Chance, selbst wenn er ein noch so schlechter Schütze sein sollte.
    Während Shepherd und ich miteinander redeten, hatte Valerie die Gelegenheit genutzt, sich langsam zum Hinterausgang zu bewegen. Jetzt war sie nur noch zwei Schritte davon entfernt und wagte es. Sie wirbelte herum, packte die Türklinke und zerrte verzweifelt daran. Ich hatte Michael Shepherd weder zielen sehen, noch hatte ich einen Schuss gehört. Ich sah nur auf einmal, dass zwischen Valeries Schulterblättern ein kleiner schwarzer Stab herausragte und dass sie nach vorn kippte, direkt durch die Tür, die sie gerade geöffnet hatte. Von da, wo ich stand, konnte ich jetzt nur noch ihre Füße sehen. Sie war ganz merkwürdig gestürzt– die Zehen des einen Fußes waren gegen den Boden gestemmt, sodass der Schuh halb abgefallen war. Der andere Fuß war eigenartig verdreht. Wie gelähmt wartete ich, dass sie sich bewegte und ihren Schuh vollständig verlor. In dieser Position konnte jemand unmöglich längere Zeit verharren. Doch sie bewegte sich nicht.
    Ich sah zu Michael Shepherd, der mit einem seltsamen Gesichtsausdruck auf Valerie starrte. Aus ihm sprach halb Stolz, halb Ehrfurcht vor seiner eigenen Leistung. » Ein einziger Schuss«, kommentierte er und ließ seine Frau los, um den zweiten Bolzen aus seinem Gürtel zu ziehen und sorgfältig in die Armbrust einzulegen.
    » Mike, bitte.« Diane weinte so sehr, dass ihre Worte nur schwer zu verstehen waren. » Tu es nicht. Du musst damit aufhören.«
    Es kam mir vor, als entspannte er sich, nachdem er gesehen hatte, wie einfach diese Armbrust zu bedienen war– wie einfach es war zu töten. Er bewegte sich ohne jede Eile, aber hoch konzentriert. Wahrscheinlich hatte er seine Frau überhaupt nicht gehört. Ich spürte Panik in mir aufsteigen und versuchte, dagegen anzukämpfen. Ganz egal was als Nächstes passierte– Panik war auf keinen Fall ratsam.
    Diane versuchte es noch einmal. » Du machst es doch nur immer schlimmer. Bitte hör auf.«
    Jetzt schaute er auf. » Schlimmer? Wie könnte ich es denn noch schlimmer machen? Was soll denn noch schlimmer werden, so wie ihr– du und deine Tochter– mich zum Idioten gemacht habt? Was gibt es denn Schlimmeres, als dass du mir vorsätzlich an allem die Schuld gibst? Das könnte dir so passen– ich wandere in den Knast, und du kommst davon, oder wie? Dann kannst du von hier verduften, ein neues Leben anfangen und das ganze Affentheater vergessen.« Er stieß den Bogen in ihre Richtung. » Aber so läuft das nicht. Das habe ich dir doch gesagt. Lieber bringe ich dich um, als dass ich dich gehen lasse, und das werde ich auch tun. Der einzige Unterschied ist, dass ich es genießen werde, denn– glaub mir, Diane– du bekommst genau das, was du verdienst.«
    Diane hatte jetzt jegliche Fassung verloren und schüttelte nur noch hysterisch den Kopf, unfähig, sich noch zu artikulieren. Verzweifelt dachte ich, dass der Polizist vor der Tür sie doch hören musste, aber von der Eingangstür her war keinerlei Geräusch zu hören. Die Welt war auf diesen einen Raum zusammengeschrumpft, einen Raum, der nur noch nach Hass, Elend und Blut stank. Es kam mir vor, als seien wir die letzten Menschen auf dieser Erde.
    Er war fertig mit Nachladen, drehte sie zu sich um und küsste sie seitlich auf den Kopf, vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Die Augen hatte er geschlossen, und für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, ob sich mir gerade meine einzige Chance bot, doch ich war unfähig, mich zu bewegen. Vorsichtig langte ich wieder mit der Hand hinter mich und suchte in der Hoffnung auf ein Wunder die Arbeitsfläche in immer größeren Kreisen ab. Da ertasteten meine Fingerspitzen etwas, schoben es aus Versehen ein Stück weg, und schon fast schluchzend angelte ich danach. Er hatte nicht einen Moment gezögert, Valeries Leben ein Ende zu setzen. Dasselbe würde er mit mir tun.
    Halte durch, sagte ich mir, halte
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