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Die Vergessenen Schriften IV

Die Vergessenen Schriften IV

Titel: Die Vergessenen Schriften IV
Autoren: Markus Heitz
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wollte Tirîgon wissen.
    „Einen Tropfen. Das Mittel ist derart kräftig, dass es nicht mehr benötigt.“ Und bei zwei Tropfen ist er tot. Sisaroth schritt nach vorne auf den Gefangenen zu. Er schob den Unterkiefer auf, öffnete das Behältnis und achtete genau darauf, die Essenz in den Mund perlen zu lassen.
    Doch er zitterte vor Aufregung, und so ging der erste schwarze Tropfen daneben.
    Es zischte, als es auf den Stein traf, und die Dämpfe brannten in den Augen des Albs. Verflucht! Es ist zu kostbar, um es zu verschwenden!
    Beim zweiten Versuch gelang es.
    Bendolín riss die Lider in die Höhe und legte den Kopf in den Nacken. Er ächzte und grollte, sein Körper spannte sich. Krusten und Schorf sprangen ab, frisch verheilte Wunden öffneten sich unter den anschwellenden Muskelbergen.
    Ja! Beweise, dass ich richtig lag! Sisaroth machte zwei Schritte rückwärts und vermochte die blauen Augen nicht von seinem Gefangenen zu nehmen: Dessen Haut färbte sich ein, wurde dunkler und schimmerte in einem fast schwarzen Nachtblau. Sogar das Weiß der Pupillen schwand unter der Macht der Tinktur. Alles an dem Unterirdischen hatte sich dunkel gefärbt, selbst die wenigen Haare wandelten ihre Farbe.
    Dann entspannte sich der Unterirdische und stand normal auf seinen Beinen, sah sich um, betrachtete zuerst Firûsha, dann Tirîgon.
    Es ist abgeschlossen. Ohne dass er starb. Sisaroth näherte sich ihm wieder und brachte seinen Mund auf Höhe des Ohrs. „Von nun an sei dein Name Iuwânor“, befahl er. „Du bist einer von uns und kämpfst für mich und meine Geschwister.“
    „Das tue ich, Herr“, erwiderte Bendolín mit tieferer Stimme denn zuvor.
    „Zeige uns, was du zu tun vermagst“, verlangte Tirîgon laut.
    Bendolín runzelte die Stirn. „Was meint Ihr damit, Herr?“
    „Befreie dich von den Ketten und schleiche dich an uns heran“, schlug Firûsha vor. „Wenn es dir in weniger als …“
    Unvermittelt erloschen die Fackeln und Lampen; in der Dunkelheit erklang das Klirren von Ketten.
    Sisaroth spürte einen Luftzug, als Bendolín an ihm vorbeihuschte und auf bloßen Füßen vorwärts schlich. Ausgezeichnet! Man hört ihn kaum!
    Dann klang ein leises Sirren, gefolgt von einem langgezogenen Schrei, der aus der Kehle des Unterirdischen drang und in ein Gurgeln überging.
    Im gleichen Moment flammte das Licht auf.
    Die Helligkeit zeigte Sisaroth, dass sein Geschöpf von Tirîgon durchbohrt aufrecht stand; das lange Schwert verlief der Länge nach durch seine Kehle und steckte bis zum Heft im Hals. Firûsha hatte sich auf Knie begeben, und ihr Schwert hatte den Zhadár quer durch die Rippen getroffen und aufgespießt.
    „Was habt ihr getan?“ Sisaroth eilte fassungslos heran. „Ihr habt die Arbeit von …“
    Gleichzeitig zogen die Geschwister ihre Waffen aus dem Toten, die Leiche brach zusammen. Schwarzrotes Blut ergoss sich aus den Wunden. Klirrend löste sich ein Dolch aus Bendolíns Fingern und blieb neben ihm liegen.
    „Ist das deine Waffe?“, fragte Tirîgon und reinigte die Klinge am Schurz des Unterirdischen.
    Verwundert tastete sich Sisaroth ab. Er bestahl mich, ohne dass ich es bemerkte. Ein lauter Fluch kam über seine Lippen. „Bei Samusin!“
    „Wären wir weniger aufmerksam gewesen und hätten uns auf die Lammfrömmigkeit verlassen, hätte es übel enden können.“ Firûsha sah auf den Toten. „Er hat dir etwas vorgespielt, mein lieber Bruder.“
    „Bis auf die Sache mit den Künsten. Die beherrschte er wahrlich perfekt“, fügte Tirîgon ohne Häme hinzu. „Ich bin stolz auf dich, Sisaroth. Dir gelang, was Arviû und seiner Cîanai verwehrt geblieben war. Doch solltest du noch härter daran arbeiten, ihren Willen zu brechen.“ Er zog eine Liste aus dem Aufschlag des Handschuhs. „Hier. Versuche es bei denen.“
    Sisaroth nahm sie verwundert entgegen. „Was soll ich damit?“
    „Ich nutzte die Zeit und hörte mich bei den Unterirdischen vom Stamm der Dritten um. Ausgehend von Arviûs Erzählungen, schrieb ich mir die Namen derer auf, welche die Nachfahren jenes Barskalín und seinesgleichen aus dem Clan der Glutaugen sind, die unserem blinden Helden den Treueschwur leisteten.“ Er schenkte seinem Bruder ein aufmunterndes Lächeln. „Ich denke, dass wir mit ihnen mehr Erfolg haben werden als bei Unterirdischen, die uns hassen. Die Dritten dagegen werden uns dankbar sein, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, ihre Verwandten zu vernichten.“
    Firûsha lachte glockenhell.
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