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Die vergessene Insel

Die vergessene Insel

Titel: Die vergessene Insel
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ungewöhnlich, aber...« Er zögerte einen
Moment, dann sprach er weiter. »Michael könnte uns
begleiten. Wenigstens für ein paar Tage.«
Mike horchte auf, und McIntire legte den Kopf schräg
und die Stirn in Falten, wodurch er ein wenig wie ein
überraschter Dackel aussah, ohne jedoch die natürliche Freundlichkeit dieser
kleinen Hunde auszustrahlen. »Wie meinen Sie das?«
»Nun, des einen Leid ist des anderen Freud, das wissen Sie ja«, antwortete Winterfeld. »An sich hatte ich
vor, Paul gleich mit nach Hause zu nehmen. Aber wie
es scheint, werden auch wir zumindest die Weihnachtstage noch auf Ihrer freundlichen Insel verbringen. Die LEOPOLD liegt mit einem Maschinenschaden im Hafen, und wie mir mein Erster Ingenieur versicherte, wird die Reparatur mindestens sechs Tage in
Anspruch nehmen. Wenn Michael es möchte und Sie
einverstanden sind, selbstverständlich, dann könnte
er Paul und mich begleiten und an Bord des Schiffes
bleiben, bis wir auslaufen.«
Mike riß erstaunt Mund und Augen auf. Aus seiner gerade noch abgrundtiefen Betrübnis wurde ein himmelhohes Jauchzen, das allerdings sofort wieder einen
kräftigen Dämpfer bekam, als er McIntire ansah. Das
Stirnrunzeln des Direktors zeigte, daß er wenig begeistert von Winterfelds Vorschlag war. Schließlich war
Hieronymus Winterfeld Soldat und die LEOPOLD ein
Kriegsschiff. Sein Vorschlag verstieß wahrscheinlich
gegen so ziemlich jede Regel, die McIntire kannte, und
wahrscheinlich auch gegen alle, die er nicht kannte.
»Ich bin nicht ganz sicher, ob...« begann McIntire,
aber Winterfeld unterbrach ihn sofort.
»Ich übernehme natürlich die volle Verantwortung«,
sagte er. »Und es besteht wirklich kein Grund zur Sorge. Wie gesagt: die LEOPOLD liegt manövrierunfähig
    im Hafen, und ich verbürge mich dafür, daß Michael
sicher wieder zurückgebracht wird, bevor wir auslaufen.«
»Ich zweifle nicht an Ihrem Wort, Kapitän Winterfeld«,
antwortete McIntire hastig. »Es ist nur...« Er
räusperte sich, dann gab er sich einen Ruck und fuhr
ein wenig fester fort: »Ich will ganz ehrlich sein: Die
Lage ist nicht nur in Indien gespannt. Ich bin nicht sicher, ob es wirklich klug ist, wenn sich Mike im Moment an Bord eines deutschen Kriegsschiffes begibt.«
»Sir, ich bitte Sie!« sagte Winterfeld kopfschüttelnd.
»Ich weiß ja nicht, was die Zeitungen hier in Großbritannien für einen Unsinn verbreiten, aber wenn er
auch nur halb so groß ist wie der, den sie bei uns
schreiben,
dann kann ich Sie beruhigen. Weder das
Deutsche Kaiserreich noch Österreich-Ungarn tragen
sich im Moment mit dem Gedanken an Krieg. Und ich
kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß es
Ihrem King anders ergeht. Immerhin leben wir im
zwanzigsten Jahrhundert.«
»Was nichts daran ändert, daß die LEOPOLD ein
Kriegsschiff ist.«
Kapitän Winterfeld nahm die Worte gar nicht zur
Kenntnis. »Und außerdem«, fuhr er unbeeindruckt
fort, »bin ich nicht als Kapitän der Kaiserlichen
Kriegsmarine
hier, sondern als Vater
eines
Ihrer
Schüler.«
McIntire wirkte noch immer unentschlossen, und
Mikes Herz begann vor Aufregung immer schneller zu
klopfen. McIntire mußte einfach ja sagen. Nach Winterfelds überraschendem Angebot würde er eine weitere Enttäuschung nicht überleben, da war er ganz sicher.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte Winterfeld.
»Wenn ich mich nicht irre, wird der Schulbetrieb mit
    dem heutigen Abend sowieso eingestellt. Ich lade Sie,
Michael und die vier anderen Schüler, von denen Sie
erzählten, zu einem Besuch auf meinem Schiff ein. Sie
können sich mit eigenen Augen davon überzeugen,
daß die Jungen dort sicher sind.«
»Ist das denn gestattet?« fragte McIntire überrascht.
Winterfeld schüttelte den Kopf und grinste plötzlich
so breit wie ein Schüler der dritten Klasse, der beobachtet, wie sein Lehrer sich auf den Schwamm setzt,
den er auf seinen Stuhl gelegt hat. »Betrachten Sie es
als einen Akt der Völkerverständigung«, sagte er. »In
einer Zeit wie dieser können auch kleine Gesten
große Dinge bewirken - und für Michael und die vier
anderen ist es wenigstens ein kleiner Trost.«
McIntire zögerte noch immer, aber Mike spürte, daß
sein Widerstand mit jeder Sekunde weiter bröckelte.
Vermutlich fand auch er selbst die Vorstellung
äußerst verlockend, Winterfelds mächtiges Kriegsschiff aus der Nähe sehen zu können. Mike
selbst
wurde allein bei dem Gedanken schon fast schwindelig. Paul hatte ihm genug von der LEOPOLD erzählt,
um ihn ganz
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