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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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rührte sich etwas. Dennoch ertappte er sich dabei, besonders die lebensgroßen
steinernen Krieger mit sehr misstrauischen Blicken zu mustern, während sie die Kammer durchquerten und sich Ramses’ Sarkophag näherten.
Es blieb nicht lange ruhig. Noch bevor sie den gewaltigen steinernen Sarg erreichten, wurden hinter ihnen das Klirren von Waffen und
Schreie laut, und dann die Geräusche zahlreicher rennender Menschen, die rasch näher kamen. Abu Dun drehte sich unschlüssig im
Kreis, aber Andrej entging nicht, dass er die stummen Wächter des
toten Pharao mit derselben Mischung aus Misstrauen und mühsam
niedergehaltener Furcht betrachtete, die auch Andrej empfand.
»Sie kommen«, sagte er überflüssigerweise. Sein Blick tastete unstet umher und blieb schließlich wieder an dem gewaltigen Sarkophag hängen. »Und du glaubst wirklich, wir schaffen das? Das Ding
muss eine Tonne wiegen.«
Es dauerte einen Moment, bis Andrej begriff. Er schüttelte den
Kopf. »Nicht unter diesem Sarkophag. Es gibt noch eine andere
Grabkammer.«
»Noch eine andere Grabkammer«, wiederholte Abu Dun nachdenklich. »Und warum sind wir dann in dieser?«
Andrej starrte ihn an. Lauft in die Grabkammer! »Weil ich ein Idiot
bin«, murmelte er. Sie waren in der falschen Grabkammer. »Meine
Rede«, sagte Abu Dun ruhig, »seit mehr als hundert Jahren. Aber
was tun wir jetzt?«
Andrej hob die Schultern. »Sterben?«, schlug er vor.
»Das wäre einmal eine neue Erfahrung«, antwortete Abu Dun, während er seinen Säbel zog und den Griff der gewaltigen Waffe mit
beiden Händen umschloss.
Sie mussten nicht lange warten. Die Schreie und Schritte kamen
rasch näher, und Andrej hätte beinahe aufgeatmet, als die ersten Gestalten, die hereintaumelten, weder Untote noch Männer aus Faruks
Heer waren, sondern befreite Sklaven. Doch seine Erleichterung hielt
nicht einmal einen Atemzug lang vor. Unmittelbar hinter ihnen stolperte Meruhe herein, und das Waffengeklirr und der tosende Kampflärm aus dem Gang schienen schlagartig zuzunehmen.
Meruhe taumelte noch ein paar Schritte weiter und blieb dann abrupt stehen. Auf ihrem Gesicht erschien ein Ausdruck zwischen Unglauben und Entsetzen, als sie Andrej und Abu Dun erblickte. Einen
Moment lang stand sie einfach da und starrte sie an, dann schüttelte
sie wütend den Kopf und rannte weiter. Noch bevor sie bei ihnen
angekommen war, liefen die ersten Krieger aus Faruks Heer herein.
Sie waren zum Teil in erbitterte Zweikämpfe mit Untoten verstrickt,
die sie nur zu oft verloren.
»Es tut mir Leid«, begann Andrej, als Meruhe neben ihm anlangte.
»Ich…« habe dich einfach falsch verstanden.
Und nicht nur das, erwiderte Meruhe auf dieselbe, lautlose Weise,
und dennoch seltsam gehetzt, wir alle haben etwas falsch verstanden.
Wir dürfen jetzt keinen Fehler machen!
»Was für einen Fehler?«, fragte Andrej laut.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Meruhe. »Aber ich bitte dich um
eins«, ihre Stimme wurde noch drängender, »tu nichts, was du später
bereuen könntest!«
Andrej packte sein Schwert fester und trat vor sie. Zu seiner Überraschung nahm Abu Dun demonstrativ neben ihm Aufstellung. Noch
tobte der ungleiche Kampf nur im vorderen Teil der Halle, aber die
Grabkammer füllte sich schnell, und aus dem Gang drang noch immer der Lärm eines ebenso verzweifelten wie ungleichen Kampfes
herein, an dessen Ausgang es keinen Zweifel geben konnte. Meruhes
Volk und Faruks Soldaten kämpften mittlerweile Seite an Seite gegen einen Gegner, dessen Zahl ebenso unbarmherzig stieg, wie die
ihre abnahm. Andrej beobachtete entsetzt, wie einer von Faruks
Kriegern von einer rostigen Speerklinge durchbohrt zu Boden sank,
um sich nur einen Augenblick später mit ungelenk aussehenden Bewegungen und leerem Blick wieder zu erheben und sich der Heerschar derer anzuschließen, die er vor einem Atemzug noch so verzweifelt bekämpft hatte!
»Bei Allah, Weib, was hast du getan?«, keuchte Abu Dun.
Meruhes Lippen wurden zu einem dünnen, blutleeren Strich. Sie
schwieg. Vielleicht, dachte Andrej, weil sie die Antwort nicht wusste. Vielleicht aber auch, weil sie das Entsetzen vor den Konsequenzen ihres eigenen Tuns überwältigt hatte.
So Grauen erregend das Geschehen war, dessen hilflose Zeugen sie
wurden - es dauerte nicht lange. Immer mehr lebende und tote Krieger strömten in die Grabkammer. Die seit Jahrtausenden unberührt
daliegenden Schätze und Kostbarkeiten waren längst unter den Füßen der Kämpfenden
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