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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vermeintliche Unverwundbarkeit etwas nützen. Die Ungeheuer
würden sie einfach in Stücke reißen - bei lebendigem Leib.
Der Gedanke weckte Andrejs Trotz. Er hatte nicht so lange gelebt
und so vielen Gefahren getrotzt, um jetzt von einer Armee wiederauferstandener Toter umgebracht zu werden!
Mit einem gewaltigen, beidhändig geführten Schwerthieb streckte
er drei oder vier der unheimlichen Angreifer zugleich nieder und
schleuderte einen weiteren Untoten mit einem Fußtritt von sich, doch
dann klammerten sich kalte, wüstentrockene Hände um seine Knö
chel, ein halb skelettierter Arm schlang sich von hinten um seinen
Hals, und eine tausend Jahre alte schartige Klinge grub sich in seinen
Oberarm und ließ ihn vor Schmerz aufbrüllen.
Andrej bäumte sich auf und schüttelte die Untoten noch einmal mit
verzweifelter Kraft ab, aber es war nur ein letztes Aufbegehren. Eiskalte, unerbittlich starke Hände entrangen ihm die Waffe. Er wurde
niedergeworfen. Fingernägel zerrissen seine Haut, eisige Krallen
tasteten über seinen Körper und sein Gesicht, suchten nach seinen
Augen und seiner Kehle, und neben ihm brüllte Abu Dun in hilfloser
Wut, als auch er von der schieren Masse der Angreifer einfach über
rollt und zu Boden gerungen wurde.
Und dann, von einem Augenblick auf den anderen, war es vorbei.
Das Reißen und Zerren an seinen Gliedern hörte auf. Die Finger,
die nach seinen Augen getastet hatten, waren plötzlich nicht mehr da,
und die Hände, die ihn mit unbarmherziger Kraft niedergehalten hatten, zogen sich zurück.
Schlagartig wurde es unheimlich still.
Andrej blieb noch einen Moment mit geschlossenen Augen liegen
und lauschte auf einen einzelnen, schweren Schlag seines Herzens.
War das das Ende?
Er hatte sich immer gefragt, wie es sein mochte, jene finale Grenze
zu überschreiten, die er schon so oft gespürt und unzählige Male tatsächlich berührt hatte, ohne zu wissen, was wirklich auf der anderen
Seite war; ob all die Geschichten von der Hölle und ewiger Verdammnis auf der einen und dem Paradies und ewiger Glückseligkeit
auf der anderen Seite stimmten oder ob ihn gar nichts erwarten würde.
Wenn das der Tod war, dachte er, dann war er vollkommen anders
als alles, was man sich darüber erzählte.
Dann wurde ihm klar, wie albern dieser Gedanke war. Mit einer
zornigen Bewegung öffnete er die Augen und setzte sich auf.
Er war nicht tot, ebenso wenig wie Abu Dun und Meruhe, doch davon abgesehen gab es nicht mehr allzu viel Leben in der Grabkammer.
Hier und da hörte er noch ein leises Stöhnen; das letzte Seufzen eines Sterbenden, das Weinen eines Mannes, der spürte, wie das Leben
unerbittlich aus ihm hinauslief, einen wimmernden Schmerzenslaut
oder auch ein fast erleichtertes Seufzen, wenn die Qual endlich ein
Ende hatte. Da und dort - nur sehr selten, entsetzlich selten - regte
sich tatsächlich noch etwas. Aber zum größten Teil war die Kammer
nun tatsächlich zu einem gewaltigen Grab geworden. Wohin er blickte, sah er Tote und Sterbende, Männer aus Faruks Heer, die schwarz
gekleideten Sklavenjäger, die mit Ali Jhin gekommen waren, aber
auch Männer und Frauen, Alte und Kinder aus Meruhes Dorf. Es
roch nach Blut und Schweiß, nach Fäkalien und Leid. Schmerz und
Tod lagen wie etwas Greifbares in der Luft.
Was er nicht sah, waren die Untoten.
»Aber wie…?«, stammelte Abu Dun neben ihm und brach dann mit
einem erschrockenen Keuchen wieder ab.
Vielleicht war es das Entsetzen in der Stimme des Nubiers, das ihn
wirklich begreifen ließ.
Es gab keine Untoten, wohl aber eine entsetzlich große Anzahl
wirklicher Toter. Aus der erdrückenden Übermacht von zu widernatürlichem Leben erwachten, grässlichen Kreaturen, gegen die Abu
Dun und er so verzweifelt gekämpft hatten, waren wie durch einen
unheimlichen Zauber wieder Menschen geworden. Rings um Abu
Dun, Meruhe und ihn häufte sich ein Grauen erregender Halbkreis
aus Toten und Sterbenden; Faruks und Ali Jhins Krieger, einfache
Bauern und Handwerker, an deren Hand- und Fußgelenken noch die
zerschnittenen Reste der Stricke hingen, mit denen sie gebunden gewesen waren, und zu Andrejs maßlosem Entsetzen selbst die verkrümmte Gestalt eines Knaben, der nie mehr die Gelegenheit bekommen würde, zum Mann zu werden. Verständnislos starrte er das
Schwert an, das der Junge mit seinen im Tode verkrampften, zierlichen Händen umklammert hielt. Sein Schwert.
Hinter ihm erklang ein leises, schmerzerfülltes Stöhnen, doch erst,
als Andrej mühsam den Kopf
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