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Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Peter Wensierski
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anmutenden Bankgebäuden, Restaurants und Hotels entlanggebummelt. Dort hatten sie zum ersten Mal probiert, mit Stäbchen zu essen. Geröstete Erdnüsse und andere Gerichte wie scharfe Nudeln, würzigen Tofu, Huhn mit Sesam aus kleinen Schälchen. Es roch nach Sesamöl, Chili und Knoblauch. Nach einigem Zögern hatten sie sich getraut, auch zu den kleinen Imbissständen im Freien zu gehen.
    Sie hatten den Gruppen in den Parks zugeschaut, die in der feuchten Hitze mit immer gleichen, weichen Bewegungen zur Musik aus einem Kassettenrekorder Gymnastik machten.
    Alte Männer mit weißen Handschuhen drehten, einige Schritte davon entfernt auf einer Steinmauer sitzend, unermüdlich zwei glänzende Stahlkugeln in ihren Händen. Ein Spiel, aber auch eine Übung gegen das Alter in den Knochen und Gelenken. Die Männer schafften es, die beiden Kugeln stundenlang in ihren Händen kreisen zu lassen, ohne dass sie sich berührten.
    Schließlich waren sie zum Hafen hinuntergegangen und hatten den Schiffen hinterhergeschaut, wie sie am Horizont verschwanden. Sie begannen sich auszumalen, wohin ihre nächste Reise gehen könnte.
    Ich wollte ja immer nach Afrika, sagte Jens. Schon als Kind. Alle haben mich ausgelacht, nur meine Oma nicht. Sie meinte: Wenn der Junge das will, dann schafft er das auch. Wie sieht es aus, Marie – kommst du mit?
    Marie lächelte und sagte nichts. Sie betrachtete lange die kälter werdenden Farben des Himmels. Dann wandte sie sich Jens zu.
    Wenn ich mitkomme, komme ich auch mit nach Afrika. Darauf kannst du dich verlassen.
    Von ihrem Nachtlager auf dem Hoteldach aus konnten Marie und Jens nun weit über die Häuser der Stadt sehen. Eine friedliche Abendstimmung. Die Schornsteine auf den umliegenden Dächern erinnerten Marie ein wenig an ihren Lieblingsplatz zu Hause, doch hier heizte niemand mit Braunkohle, es roch nach Speisen mit Gewürzen, die ihr fremd waren.
    Während Jens auf dem hinteren Teil des Daches Fotos machte, räumte Marie ein bisschen auf. Das Notizbuch von Jens lag auf seinem Schlafsack. Als sie es in seinen Rucksack legen wollte, fiel der Stift raus, der zwischen zwei Seiten eingeklemmt war. Sie suchte die letzte beschriebene Seite, um den Stift wieder ins Buch zu legen. Jens hatte sich auf drei Seiten akribisch die Adressen von Leuten notiert, die sie unterwegs getroffen hatten, und dahinter ein Kreuz gesetzt.
    Urs und Christian aus der Schweiz, Anne und Dieter aus West-Berlin, Tom aus Kanada, selbst von dem dänischen Ehepaar aus Kopenhagen hatte er sich die Adressen notiert.
    Was sie da sah, beunruhigte sie. Es machte ihr endgültig klar, dass sich Jens, nun da sie in China waren, darauf vorbereitete, in den Westen zu gehen. Marie spürte, dass es an der Zeit war, miteinander zu sprechen. Und das konnte nicht bis morgen warten. Jens war noch mit seiner Kamera beschäftigt. Sie ging zu ihm, berührte ihn vorsichtig am Arm.
    Wenn du sagst, es gibt keinen Grund mehr für dich, nach Hause zurückzukehren, heißt das, dass du dir in Peking einen westdeutschen Pass holst?
    Jens blickte in die Ferne und nickte.
    Und dass du mit diesem Pass in den Westen willst?
    Jens schüttelte den Kopf.
    Nicht sofort.
    Du willst es also auf jeden Fall tun, flüsterte Marie. Sind wir also auf der Flucht?
    Jens wandte sich ihr zu.
    Wir sind doch schon geflohen. Vor einem Leben unter Aufsicht. Ich will nicht mehr zurück. Komm mit mir, Marie!
    Sie schauten über die Dächer, wie sie es zu Hause oft getan hatten. Zu Hause – für wen galt das noch?
    Ich will es auf jeden Fall versuchen, sagte Jens schließlich. Wir haben die Pässe bekommen, das Visum für China, und jetzt sind wir hier. Auf einem Dach in Schanghai! Es ist, als hätte jemand eine Tür geöffnet!
    Ja, das ist wunderbar, meinte Marie . Ich weiß nur nicht so genau, ob sie auch meine ist. Du weißt doch, ich will zu Ende studieren.
    Er sah sie an. Ist es nur das?
    Jens, was nützt mir die Reisefreiheit im Westen, wenn ich dann nicht mehr zu meiner Familie fahren kann?
    Marie, glaubst du wirklich, dass sich unser Land je zum Besseren ändert?
    Marie zögerte kurz, bevor sie antwortete.
    Wir fahren doch nicht in die Hölle zurück. Ich will mein Studium beenden, um das ich mich so bemüht habe. Was dann passiert, weiß ich nicht. Ich wollte mit dir diese Reise machen, und sie ist so schön. Ich will mich nicht von dir trennen. Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, alles hinter mir zu lassen und einfach davonzugehen.
    Jens gab nicht auf.
    Aber
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