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Die verborgene Seite des Mondes

Die verborgene Seite des Mondes

Titel: Die verborgene Seite des Mondes
Autoren: Antje Babendererde
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Dann schob sie Julia von sich und sagte mit hei serer Raucherstimme: »Du siehst deinem Vater verdammt ähnlich.«
    Das stimmte. Julias Haut war zwar nicht so dunkel wie die ihres Vaters, aber sonst hatten sich seine Gene durchgesetzt und sie war froh, ihm zu ähneln. Julia hatte Johns Nase, kurz und mit kräftigen Nasenflügeln, und seine vollen Lippen. Auch die Form seiner Augen hatte sie geerbt: kleine Halbmonde, die äußeren Winkel leicht nach unten gezogen.
    Sacajawea , hatte ihr Vater sie immer genannt, Vogelmädchen . Saca jawea, eine junge Shoshoni, hatte 1805 die Expedition von Lewis und Clark begleitet und dafür gesorgt, dass die beiden weißen For scher auf ihrer Reise nicht verhungert waren. Das Gesicht des Mäd chens war auf einer messingfarbenen Dollarmünze abgebildet und John hatte behauptet, die Ähnlichkeit mit Julia wäre unverkennbar.
    Von ihrer Mutter hatte sie nur die ungewöhnliche Augenfarbe. Ein bläuliches Grün, wie dunkler Türkis, mit winzigen goldenen Spren keln darin.
    Ada schob Julia zur Seite und das Mädchen glaubte, Tränen in den Augen ihrer Großmutter zu sehen. Geschäftig verstaute die alte Frau Mitgebrachtes in der Küche, las Zettel, die auf dem Resopal tisch lagen, und plauderte, als wären Hanna und Julia alte Bekannte, die eben mal kurz vorbeigekommen waren. Wie war der Flug? Seid ihr müde? Hungrig? Kann mir mal einer helfen, die Kiste auf den Schrank zu heben?
    Julia wusste nicht, ob sie ihre Granny fürchten, sie bewundern, oder Mitleid mit ihr haben sollte. Adas harsches Wesen wirkte ein schüchternd auf sie, aber instinktiv spürte Julia, dass unter der har ten Schale offene Wunden lagen, die nie verheilt waren.
    Schließlich setzte sich Ada, zündete eine Zigarette an und rauchte schweigend, wobei sie ihre weiße Schwiegertochter eindringlich musterte.
    »Musste mein Sohn leiden, bevor er starb?«, fragte sie . »Nein. Er war sofort tot. « »Und seine Organe? « Julias Augen weiteten sich vor Entsetzen und sie sah ihre Mutte r
    fragend an. »John ist als ganzer Mensch begraben worden.« Die alte Frau nickte. »Das ist gut.« Sie drückte die halb aufgerauch
    te Zigarette in den Aschenbecher und erhob sich. »Also dann kommt. Ich will euch zeigen, wo ihr schlafen werdet.«

3.

    A da stieg mit ihnen in den Leihwagen und führte sie zu dem türkis farbenen Trailer, der noch vor der Einfahrt zum Hof stand. Auch aus der Nähe machte der Blechkasten den Eindruck, als sollte er samt umherstehendem Unrat in den nächsten Tagen von der Sperrmüll abfuhr geholt werden.
    Doch drinnen hatte sich jemand große Mühe gegeben, die Zim mer bewohnbar zu gestalten. Größter Raum war die Küche mit ei ner Schlafcouch, einem alten Sessel, einer Aluspüle auf Holzbeinen und diversen kleinen Schränken.
    Linker Hand führte ein schmaler Gang in einen angrenzenden Raum mit einem frisch bezogenen Bett und einem Nachtschränk chen. Vom Gang aus kam man in eine Abstellkammer und in ein ebenso kleines Bad mit Toilette, Waschbecken und Badewanne. Die Einrichtung schien uralt zu sein, aber Julia gefiel es im Trailer. Viel leicht war sie auch einfach nur erleichtert, nicht im Ranchhaus schlafen zu müssen.
    Ada erklärte ihnen, dass es keinen Strom und auch kein fließend Wasser gab. Waschbecken, Spüle, Wanne und Toilette – alles nur Attrappe. Für Notfälle stand im Bad ein Eimer mit Deckel. Ein ande rer Eimer, der immer wieder aufgefüllt werden musste, enthielt Wasser zum Waschen.
    Ada überreichte Julia und Hanna zwei große batteriebetriebene Lampen und offenbarte ganz nebenbei, dass die Tür des Trailers nicht verschließbar war. Wo eigentlich das Schloss sein sollte, be fand sich ein kreisrundes Loch. Sie erklärte der entgeisterten Han na, wie man die Tür mit einem verbogenen Draht geschlossen hal ten konnte.
    »Sollte es stürmisch werden«, warnte Ada sie, »schiebt ihr am bes ten von innen einen Stein vor.«
    Hanna nickte stumm.
    »In einer Stunde gibt es Abendessen«, sagte die alte Frau. »Hilfe ist immer willkommen.«
    Nach dem Essen, das aus Kartoffeln, gebackenen Bohnen und Hamburgern bestanden hatte, saßen Julia und Hanna mit den bei den Alten in der Küche, während Tommy nebenan auf dem Teppich hockte und zusammenhanglos vor sich hin brabbelte. Boyd knab berte an der Schokolade, die Julia ihm aus Deutschland mitgebracht hatte, und trank Kool Aid dazu.
    Ada erzählte, dass Tommy der Sohn von Sarah war, Johns Schwes ter. Sarah hatte mit ihrem Mann eine Zeit lang in der
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