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Die verborgene Seite des Mondes

Die verborgene Seite des Mondes

Titel: Die verborgene Seite des Mondes
Autoren: Antje Babendererde
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den Gemälden ihres Vaters und fragte sich plötzlich, was sie hier eigentlich suchte. Denn was sie sah, entsprach nicht im Entferntesten ihren Vorstellungen, die sie sich all die Jahre gemacht hatte.
    Sie kamen an einem alten, von Unkraut umwucherten Wohntrailer vorbei, der mit türkisfarbenem Wellblech verkleidet war. Das Dach hatte jemand mit alten Autoreifen beschwert. Vor dem Trailer stan den ein riesiger ausgedienter Kühlschrank und ein altes Sofa mit ro tem Kunstlederbezug. Eine grob zusammengezimmerte Treppe führte zum Eingang, der von Wellblechteilen auf einem Holzgerüst überdacht war.
    Rechter Hand, ungefähr hundert Meter entfernt, sah Julia im Schatten mächtiger Pappeln eine alte Blockhütte. Daneben blinkte ein silberfarbener Wohnanhänger zwischen Büschen hervor, der Ähnlichkeit mit einem UFO hatte.
    Nachdem sie zwei große Sonnenkollektoren passiert hatten, tauchte ein riesiger offener Wellblechschuppen auf. Davor standen ein Traktor mit Frontlader und eine Heuballenpresse. Diverse ande re Fahrzeuge, deren rostige Karossen bereits mit dem Boden ver wachsen und größtenteils von Unkraut überwuchert waren, bilde ten eine Blechinsel auf dem Vorplatz.
    Hanna parkte vor einem hüfthohen Drahtzaun, auf dem Wäsche stücke zum Trocknen hingen, und sie stiegen aus. Hinter dem Zaun wuchs saftig dunkelgrünes Gras. Unter Pappeln mit niedrigen Kro nen duckte sich ein breites, weiß gestrichenes Holzschindelhaus mit einem Teerpappendach.
    Julia sah die blaue Tür und die blauen Fensterrahmen. Doch was war mit dem Rest? Sämtliche Fenster hatten keine Scheiben mehr, sondern waren mit durchsichtiger Plastikfolie bespannt. Ein ausgetretener Bretterpfad führte vom Tor zur Haustür, ein weiterer zu einem Klohäuschen, dessen Holztür sperrangelweit offen stand. Es neigte sich gefährlich nach rechts und machte den Eindruck, als würde es jeden Moment zusammenbrechen.
    Julia stand da und versuchte zu verarbeiten, was sie sah. Ein bun ter Rausch aus Eindrücken, Bildern und zwiespältigen Empfindung en stürzte auf sie ein. Das alles kam ihr merkwürdig unwirklich vor. So, als hätten sie sich verfahren und würden gleich wieder umkeh ren. Das konnte unmöglich der Ort sein, nach dem ihr Vater sich ge sehnt hatte – den er so oft gemalt hatte.
    Sie blinzelte, weil die Sonne sie blendete. Jetzt, wo Julia nicht mehr im klimagekühlten Auto saß, merkte sie auch, wie heiß es war. Brütend heiß .
    Hanna schob die Hände in die Vordertaschen ihrer Jeans. »Hier hat sich nichts verändert in den letzten sechzehn Jahren«, sagte sie. »Nur dass noch mehr Hütten und Schrottautos dazugekommen sind.«
    Ihre Mutter sagte das nicht herablassend. Julia spürte, wie traurig Hanna war, aber offensichtlich auch sehr erleichtert. Sie war es gewe sen, die damals auf die Rückkehr nach Deutschland gedrängt hatte. John war aus Liebe zu ihr mitgegangen. Hätte Hanna anders entschie den, wäre Julia an diesem sonderbaren Ort aufgewachsen. Und für ei nen winzigen Moment fühlte sie so etwas wie Dankbarkeit.
    Plötzlich tat es einen dumpfen Schlag in ihrem Rücken und Julia hörte einen Laut, der ihr trotz der Hitze eine Gänsehaut verursach te. Sie erstarrte. Es war ein dunkles Heulen und Wüten aus tiefster Kehle, und sie fragte sich, ob es überhaupt menschlich war.
    »Ahrg-ah-a-mah.«
    Langsam drehte sie sich um. Auch Hanna starrte in die Richtung, aus der der Krach kam.
    Nur ein paar Meter von ihnen entfernt stand ein aufgebockter grüner Pick-up-Truck ohne Räder. Und auf dem Fahrersitz saß ein menschliches Wesen, wie Julia noch keines zuvor gesehen hatte: dunkle Haut, ein länglicher Schädel wie von einem Schraubstock zu sammengedrückt, kurzes schwarzes Stoppelhaar und ein offener Mund mit vorstehenden Zähnen. Eine bizarre Grimasse, abstoßend und furchterregend.
    Beide Augäpfel waren von einem milchigen Schleier überzogen und diese blinden Augen starrten Julia an. Ein drahtiger Arm mit knotigen Muskeln baumelte zum offenen Fenster hinaus. Die kräfti ge Hand schlug erneut gegen das Türblech, dass es krachte.
    Julia zuckte zusammen. Wieder das tierische Geheul.
    »Darf ich vorstellen«, sagte Hanna, »dein Cousin Tommy.«
    Nicht ohne einen Schauer der Abscheu starrte Julia auf das Wesen, zu keinem klaren Gedanken fähig. Im selben Augenblick schoss ein brauner Pick-up um die Ecke des großen Schuppens und hielt neben ihrem Leihwagen. Ein alter Mann stieg aus, stämmig und breit schultrig. Er trug klobige
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