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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Autoren: Rebecca Skloot
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Zellkulturen unbegrenzt vermehren, wenn sie ständig mit Nährstoffen versorgt werden; man kann sie also als »unsterblich« bezeichnen. Ein bekanntes Beispiel ist eine Zelllinie, die seit 1951 in Kultur gehalten wird. (Zellen dieser Linie werden als HeLa-Zellen bezeichnet, weil ihre Quelle ursprünglich ein Tumor war, den man einer Frau namens Henrietta Lacks entnommen hatte.)
    Das war alles. Ich schlug »HeLa« in der Enzyklopädie meiner Eltern nach, dann in meinem Lexikon. Keine Henrietta.
    Als ich die Highschool abgeschlossen hatte und mich im College auf das erste Examen in Biologie vorbereitete, waren die HeLa-Zellen allgegenwärtig. Sie wurden in der Histologie, Neurologie und Pathologie erwähnt; ich benutzte sie, um in Experimenten der Frage nachzugehen, wie sich benachbarte Zellen verständigen. Aber Henrietta erwähnte nach Mr. Defler nie wieder jemand.
    Als ich Mitte der Neunzigerjahre meinen ersten Computer bekam und das Internet nutzen konnte, suchte ich nach Informationen über sie, aber ich fand nur zusammenhanglose Bruchstücke. In den meisten Quellen wurde ihr Name mit Helen Lane angegeben; manche behaupteten, sie sei im Alter zwischen 30 und 40 Jahren gestorben, anderen Angaben zufolge war sie über 40, über 50 oder sogar über 60. Manchmal hieß es, sie sei an Eierstockkrebs gestorben, an anderen Stellen war es Brust- oder Gebärmutterhalskrebs.
    Schließlich machte ich ein paar Zeitschriftenartikel über sie
ausfindig, die in den Siebzigerjahren erschienen waren. Das Magazin Ebony zitierte Henriettas Ehemann mit den Worten: »Ich weiß nur noch, dass sie diese Krankheit hatte, und gleich nach ihrem Tod haben sie mich ins Büro gerufen. Ich sollte ihnen die Erlaubnis geben, irgendeine Probe zu entnehmen. Ich habe es aber nicht gestattet.« Jet erklärte, die Familie sei verärgert, dass Henriettas Zellen für 25 Dollar je Flasche verkauft wurden und dass überall Artikel über die Zellen erschienen, ohne dass sie davon etwas wusste. Und weiter hieß es dort: »Irgendwie hatten sie wohl das Gefühl, von Wissenschaft und Presse ausgenutzt worden zu sein.«
    Zu den Artikeln gehörten auch Fotos von Henriettas Angehörigen: Ihr ältester Sohn sitzt in Baltimore am Esstisch und liest in einem Lehrbuch der Genetik; ihr mittlerer Sohn in Armeeuniform hält lächelnd ein Baby auf dem Arm. Ein Bild aber fiel mir mehr auf als alle anderen: Es zeigt Henriettas Tochter Deborah Lacks im Kreis ihrer Familie. Alle lächeln und haben die Arme umeinandergelegt, ihre Augen leuchten aufgeregt. Nur Deborah lächelt nicht. Sie steht im Vordergrund und sieht einsam aus, fast als hätte man ihr Bild nachträglich in das Foto hineinkopiert. Sie ist 26 und sehr hübsch mit ihren kurzen braunen Haaren und den ausdrucksstarken Augen. Diese Augen aber blicken hart und ernst in die Kamera. Der Bildunterschrift zufolge hatte die Familie erst wenige Monate zuvor erfahren, dass Henriettas Zellen noch am Leben waren, obwohl ihr Tod zu jener Zeit bereits 25 Jahre zurücklag.
    In allen Berichten wurde erwähnt, Wissenschaftler hätten Untersuchungen an Henriettas Kindern angestellt, aber die Familie Lacks wusste offenbar nicht, welchem Zweck diese Forschungsarbeiten dienten. Ihren Angaben zufolge habe man feststellen wollen, ob sie die gleiche Krebserkrankung hatten wie Henrietta; die Journalisten dagegen erklärten, man habe mit den Untersuchungen an den Angehörigen neue Erkenntnisse
über Henriettas Zellen gewinnen wollen. In den Artikeln wurde ihr Sohn Lawrence zitiert: Da die Zellen seiner Mutter unsterblich seien, wollte er wissen, ob auch er nun ewig leben würde. Nur ein Familienmitglied blieb stumm: Henriettas Tochter Deborah.
    Während ich nach dem Examen Schriftstellerei studierte, wurde es bei mir irgendwann zur fixen Idee, eines Tages Henriettas Geschichte zu erzählen. Einmal rief ich in Baltimore sogar die Telefonauskunft an, um ihren Mann David Lacks ausfindig zu machen, aber er war nicht verzeichnet. Das Buch, das ich schreiben wollte, sollte eine doppelte Biografie werden: über die Zellen und über die Frau, von der sie stammten – über eine Tochter, Ehefrau und Mutter.
    Was ich damals noch nicht ahnte: Mein Anruf wurde zum Beginn eines zehnjährigen Abenteuers. Es führte mich in Forschungslabors, Krankenhäuser und Nervenheilanstalten, und zu den Figuren, die darin eine Rolle spielen, gehören Nobelpreisträger, Lebensmittelhändler, verurteilte Schwerverbrecher und ein professioneller Hochstapler. Während
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