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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition)
Autoren: Aurélien Molas
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hören, ganz nah. Nach dem Schuss hatte sie die Stimme von Billy Bob erkannt, diese näselnde Stimme eines Heranwachsenden im Stimmbruch, die sie bis in den Schlaf hinein verfolgte. Sie stellte sich breitbeinig hin und richtete die Pistole auf die Toilettentür, bereit, ihn zu empfangen, falls er hereinplatzen sollte.
    Aber nichts geschah. Der Widerhall der Stimmen und Schritte wurde leiser.
    Megan wagte es nicht, sich von der Stelle zu rühren.

156
    Der Scharfschütze der Polizei hielt immer wieder für kurze Zeit die Luft an und bewegte langsam das rechte Bein, das ihm eingeschlafen war.
    Von dem Dach aus, auf dem er Stellung bezogen hatte, hatte er das gesamte Krankenhaus im Blick, doch seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Eingang zur Notaufnahme. Der junge Mann, der das Mädchen trug, kam in sein Gesichtsfeld.
    »Adler 1 «, sagte er in das Mikrofon seines Helms. »Ich habe Sichtkontakt.« Das Mikrofon in seinem Ohr rauschte.
    »Adler 1 , können Sie ihn ausschalten, ohne das Mädchen zu treffen?«
    Er konzentrierte sich auf die Bewegung des Zielobjekts und kalkulierte rasch. Bei trockenem Wetter beschrieb ein Mantelgeschoss eine um eine halb Bogenminute fallende Flugbahn. Die Entfernung zum Ziel betrug hundert Meter. Das Geschoss würde nicht abgebremst, und es würde den Kopf des Jungen in weniger als einer Sekunde erreichen.
    »Ich wiederhole: Adler 1 , können Sie ihn ausschalten, ohne das Mädchen zu treffen?«
    »Positiv.«

157
    Billy Bob drückte Naïs an sich und machte einen Schritt auf den Parkplatz. Die Rauchschwaden hatten sich verzogen, sodass die Narben der Schießerei zum Vorschein kamen. Das Erdgeschoss des Krankenhauses schien mit einem Mörser unter Trommelfeuer genommen worden zu sein. Geschosssalven hatten die Fassade durchsiebt, und pulverisiertes Glas überzog den Asphalt wie eine dünne Schicht Raureif. In den oberen Stockwerken hatten die Zivilisten die Fenster verlassen, und die meisten hatten sich mittlerweile auf dem Flachdach des Gebäudes versammelt. Die Hubschrauber kreisten weiterhin am Himmel, und die Sonne war verschwunden, verdeckt von der dunklen Linie der Gebäude im Westen.
    Billy sah die Polizisten, die, gestützt auf die Motorhauben ihrer Fahrzeuge, Gewehre auf ihn gerichtet hatten. Etwa zwanzig Meter entfernt, versperrte ein Panzerwagen den Weg Richtung Feliko Street und Berrada Street.
    Mit dem Handballen drückte Billy den Spannhebel der Mossberg 500, überprüfte, ob noch Patronen in der Kammer waren, und machte einen weiteren Schritt.
    »Sie sind umstellt!«, schrie eine Stimme in ein Megafon. »Stellen Sie die Geisel vor sich hin!«
    Billy atmete ein und schwenkte das Gewehr. Er feuerte im Halbkreis und fing an zu laufen. Die Windschutzscheibe des Panzerwagens wurde weiß, ohne jedoch unter den Salven zu zerbersten. Dort, wo die Kugeln auf den Wagentüren aufschlugen, sprühten Funken.
    Die Polizisten erwiderten das Feuer nicht. Billy stürzte strauchelnd zur Straße. In der Ferne sah er den Widerschein der untergehenden Sonne auf einer Polizeiabsperrung. Das Mädchen auf seinem Arm heulte, aber er hörte sie nicht. Von den Detonationen taub geworden, schien es ihm, als würde er durch eine Blase laufen, inmitten einer wie durch Watte gedämpften Welt schweben. Er drehte sich um und drückte auf den Abzug, wobei er ins Blaue hinein zielte. Die Patronen trafen eine Palme, Rindenstücke tanzten in der heißen Luft.
    Das Mündungsfeuer einer Waffe blitzte irgendwo am linken Rand seines Gesichtsfeldes auf. Er hatte keine Zeit mehr, um sich zu bewegen. Die Kugel vom Kaliber 50 BMG durchbohrte sein Auge und riss die Rückseite seiner Schädelkalotte weg.
    Billy taumelte und fiel auf den Rücken. Naïs schlug sanft auf dem Boden auf und hörte auf zu weinen. Sie betrachtete die Polizisten, die auf sie zuliefen, die Hubschrauber am Himmel und das Blut auf dem Asphalt.

158
    Megan öffnete die Tür der Damentoilette und wagte sich auf den Flur.
    Doch schon nach wenigen Metern erwachte wieder der Schmerz in ihrem Bein. Das unregelmäßige Geräusch ihrer Schritte hallte in den dunklen Gängen wider. Sie warf einen Blick über ihre Schulter und sah Gestalten, die durch das phosphoreszierende Licht in der Aufzugskabine nur spärlich beleuchtet wurden. Eine von ihnen zeigte mit dem Finger auf sie.
    »Nein … «, stöhnte sie.
    Hinkend versuchte sie zu fliehen und flehte darum, dass sie sie nicht verfolgen würden, aber der Schmerz verschlug ihr den Atem. Sie stützte sich an der
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