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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition)
Autoren: Aurélien Molas
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Unabhängigkeit, und die festliche Stimmung schien die ganze Stadt erfasst zu haben. Einer seiner Stellvertreter gesellte sich zu ihm, und sie sahen sich die Parade an. In dieser Entfernung glich die Menge einem langen bunten Band, einem anschwellenden Fluss, der die Straßen überflutete.
    Okah entfaltete eine Karte von Abuja und legte den Zeigefinger auf den Eagle Square.
    »Hier wird das Attentat stattfinden.«
    Er hatte lange über den Ort und das Datum dieses Anschlags nachgedacht. Der Eagle Square, das symbolische Herz Nigerias, hatte sich von selbst aufgedrängt. Auf diesem riesigen betonierten Platz, der von vergoldeten Statuen gesäumt wurde, legten die Präsidenten seit der Rückkehr zur Demokratie ihren Amtseid ab. Unterhalb davon erhob sich der Gebäudekomplex des Staatspräsidenten, auf der anderen Seite befanden sich die Nationalversammlung und der Oberste Gerichtshof.
    Es gab keinen besseren Ort, um die Wiederauferstehung der MEND zu feiern, dachte er.
    In weniger als einer Stunde würde der Zünder das Benzin in Brand setzen, und die Wasserstoffflaschen würden unter der Einwirkung der Hitze explodieren. Von dieser Felskuppe aus, die die Stadt überragte, würde er nur einen hellen Lichtblitz sehen, der über die Dächer emporschießen würde. Rötliche Funken würden in den Himmel stieben. Und dann würden sie den stark gedämpften Knall einer Explosion hören. Kaum ein Murmeln.
    Henry sah ein weiteres Mal seine Männer an.
    Bauern, Fischer, Ausgestoßene, Bettler, Kinder des Volkes, namenlose Helden. Hinter ihnen brannten die Hochfackeln einer Erdölförderplattform. Vor ihnen lag eine ungewisse Zukunft, der Kampf für Gerechtigkeit, für die Revolution und für die Welt.
    »In einer Revolution, wie in allen anderen Dingen, muss man siegen oder sterben«, murmelte er.

165
    »Du, Gott der himmlischen Heerscharen,
    weise die Gewalt des Teufels weit von uns.
    Gott der Wahrheit und der Barmherzigkeit,
    lass all seine Tücke scheitern.
    Gott der Freiheit und der Gnade,
    sprenge die Fesseln seiner Bosheit.«
    Der Priester bekreuzigte sich, und die Männer und Frauen, die ihm gegenüberstanden, taten es ihm gleich.
    »Amen.«
    Pater David wandte sich dem an der Wand der katholischen Missionsstation befestigten Kruzifix zu und schlug die Augen nieder. In dem Innenhof aus gestampfter Erde betete die kleine Gemeinde schweigend. Pater David spendete sich selbst die Kommunion und wartete dann, dass die Gläubigen zu ihm kamen, um die Hostie zu empfangen. Nachdem die Messe zu Ende war, verliefen sich die Mitglieder der Gemeinde in der Dunkelheit.
    Der Priester betrachtete den Viktoriasee.
    Am Ufer erloschen die Laternen in den Dörfern nacheinander, und die Zivilisation machte einer unendlichen Zahl von Sternen Platz. Der rötliche Mond, der dicht über der Vegetation schwebte, diente den Fischern, die kreuz und quer über den See fuhren, als Kompass und füllte ihre Netze. Im Licht der Fackeln zogen sie in den Hanfmaschen fast ausschließlich große Welse heraus, die bis zu den Gräten mit Schlick und Schlamm vollgestopft waren. Ihr gewürztes sehniges Fleisch war das Hauptgericht im gesamten Umkreis des Sees. Und es sollte vermutlich die letzte Speise sein, die er auf dieser Erde einnehmen würde, dachte Pater David. Er bekreuzigte sich und öffnete die Türen der Missionsstation.
    Hinter den Moskitonetzen des Gemeinschaftsraums schliefen Kinder oder lauschten den Geschichten, die ihnen die Schwestern vom Missionsorden der Nächstenliebe vorlasen. Der Priester grüßte die Oberin und ging in den Hinterhof.
    Diese Frauen, die das Erbe von Mutter Teresa weiterführten, hatten ihn bei sich aufgenommen. Man hatte ihm keine Fragen über seine Vergangenheit oder über das Mädchen, das ihn begleitete, gestellt. Die Schwestern kümmerten sich um Kinder, die Opfer von Teufelsaustreibungen geworden waren, um Waisen, die der Hexerei bezichtigt und aus ihren Dörfern verjagt worden waren. Pater David hatte geglaubt, dass Naïs, mehr als irgendwo sonst, hier an ihrem Platz wäre. Er hatte gezögert, einer der Ordensfrauen die seltsame Geschichte des Mädchens, das nicht alterte, anzuvertrauen, denn er hatte befürchtet, dass sich das Schicksal erneut gegen Naïs verschwören würde, wenn er dieses Geheimnis preisgäbe.
    Sie beschützen. Das war seine Mission in dieser Welt, das Schicksal, das Gott für ihn ausersehen hatte. Naïs war seine Tochter, und sie war sein Kreuz. Das war ihm mittlerweile klar.
    Der Priester
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