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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition)
Autoren: Aurélien Molas
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einem längeren Koma erwacht. Mit der Hand beschirmte er seine Augen gegen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Ihre Blicke begegneten sich, aber Pater David starrte ihn nur an, ohne ihn zu erkennen. Der alte Mann trottete allein über den Parkplatz und drehte sich um sich selbst. Dann bekreuzigte er sich, hob die Augen zum Himmel und faltete die Hände.
    Jacques ging vom Gehsteig herunter. Eine schlimme Vorahnung krampfte ihm den Magen zusammen. Die beiden Polizisten, die seine Ausweispapiere überprüft hatten, versperrten ihm den Weg und bedeuteten ihm zurückzutreten. Er wollte sie umgehen, aber Absperrbänder und Barrieren hinderten die Journalisten und die Schaulustigen daran, sich dem Krankenhaus zu nähern. Er winkte dem Priester mit beiden Händen zu, aber der alte Mann sah ihn nicht. Pater David stieß mehrere Krankenpfleger zur Seite, als er wie ein Roboter zu einem Rettungswagen marschierte. Er sprach einen Arzt an, der ein kleines Mädchen in den Armen hielt. Jacques erkannte Naïs, als der Priester sie schluchzend umarmte. Eine plötzliche Unruhe am Rand seines Gesichtsfeldes und das Raunen der Menge ließen ihn den Kopf Richtung Notaufnahme drehen.
    Das, was bis jetzt nur eine Ahnung gewesen war, ein mulmiges Bauchgefühl, wurde zu schmerzlicher Gewissheit. Als er den reglosen Körper auf der Bahre sah, die aus dem Krankenhaus getragen wurde, wusste Jacques, dass sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hatten.
    Innerhalb einer Sekunde war ihm alles klar. Aber sein Bewusstsein versperrte sich dieser Erkenntnis noch und weigerte sich, das zu formulieren, was er bereits wusste. Mit einem Blick umfasste er die Szene, Schmerz und Hoffnung rangen in ihm miteinander. Die Hoffnung, sich geirrt zu haben. Die Hoffnung, den Ausdruck auf den Gesichtern der Männer, die die Bahre trugen, falsch gedeutet zu haben. Mit den Ellbogen stieß er die Polizisten zurück, die versuchten, ihn festzuhalten. Doch schon nach wenigen Metern brachten sie ihn zum Stehen. Er spürte, wie seine Kräfte ihn verließen, wie seine Beine ihm den Dienst versagten.
    Die Tragbahre wurde zwischen zwei Fahrzeugen auf den Asphalt gestellt. Ein Mann entfaltete ein weißes Leintuch und beugte sich über die Leiche von Benjamin Dufrais, um sie zu verhüllen.

März 2010
    My only friend, the end
    »This is the end / beautiful friend / this is the end«
    Jim Morrison, The End

161
    Kommissar Forman Stona bedankte sich mit einem Kopfnicken bei dem Krankenpfleger und näherte sich dem Klinikbett, auf dem Umaru lag. Drainage- und Infusionsschläuche ragten aus seinem Körper heraus, sein Bauch war verbunden. Der Albino folgte seinem Besucher mit den Augen.
    Forman Stona nahm einen Stuhl und stellte seine Ledertasche rechts neben sich. Er setzte sich dicht neben den Verwundeten, wandte sich leicht zum Fenster hin und lauschte schweigend dem Rauschen des Windes in den Blättern, dem regelmäßigen Piepton des Herzmonitors, dem Lachen der Krankenschwestern auf dem Flur.
    Lange Minuten vergingen, und keiner von beiden sagte etwas. Schließlich räusperte sich Stona.
    »Ich bin hier, um dir zu sagen, dass du verlegt wirst.«
    Er legte seine Hand auf den Unterarm von Umaru. Dieser befeuchtete sich die Lippen und sagte unter Mühen: »Wohin … ?«
    »Auf die Krankenstation des Gefängnisses von Abuja.«
    »Warum du … ?«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Warum teilst du mir das mit … ? Warum du und nicht ein anderer …?«
    »Weil ich darum gebeten habe«, sagte Forman Stona und lehnte sich auf dem Stuhl zurück.
    Umaru strich eine Falte im Bettlaken glatt und betrachtete dann das Profil des Polizisten, das sich gegen das Fenster abhob.
    »Naïs … habt ihr sie gefunden?«
    »Nein. Noch nicht.«
    Umaru nickte nachdenklich mit dem Kopf, und diese leichte Anstrengung schien ihn zu erschöpfen.
    »Warum bist du gekommen … ?«
    Forman dachte nach, seufzte und beugte sich mit gefalteten Händen nach vorn.
    »Ich weiß es nicht.« Er senkte den Kopf und heftete den Blick auf einen braunen Fleck zwischen seinen Füßen. »Ehrlich, ich weiß es nicht … «
    »Bist du gekommen, um dir das Gesicht des Scheiterns anzusehen?«
    »Es ist nicht dein Scheitern, was ich sehe. Ich sehe das Scheitern der Revolution, Aduasanbis und auch dieses Landes.«
    »Dieses Land … «, sagte Umaru lächelnd, »dieses Land ist so wie die Welt von heute.«
    Er verstummte und verharrte reglos, den Blick zur Decke gerichtet. Stona wusste nicht, ob er gehen oder
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