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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman
Autoren: Andrea Schacht
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um mit diesem deinem Bräutigam die Ehe einzugehen?«
    »Ja, das bin ich!«, sagte die Braut mit klarer Stimme. Ihre Haltung war so gefasst, wie man es sich nur wünschen konnte; sie neigte nicht zu Tränen oder Rührseligkeit.
    »Bist du gewillt, deinen künftigen Gatten zu lieben, zu ehren und ihm zu gehorchen?«, lautete die nächste Frage, doch diesmal schob
sich das Kinn der Braut ein wenig vor, und der Tonfall, in dem sie antwortete: »Mit Gottes Hilfe, ja!«, gab zu einem plötzlichen Geraune Anlass. Den verdutzten Gesichtern der Anwesenden sah man an, dass sie zu mutmaßen begannen, der Allmächtige möge ihr dazu wohl großen Beistand zu leisten haben. Und der Bräutigam bezweifelte plötzlich, ob die Fassade der vollkommenen Dame, die er soeben zu ehelichen im Begriff war, möglicherweise Risse bekommen könnte, wenn es um Fragen des Gehorsams ging. Er wirkte einen Augenblick lang irritiert, setzte dann aber wieder eine gleichmütige Miene auf.
    Auch Pastor Merzenich mahnte die Braut mit strengem Blick, fuhr aber unbeirrt in der Zeremonie fort und hatte sie nach wenigen weiteren Segensworten beendet.
    »Und nun, lieber Hendryk, dürfen Sie die Braut küssen«, schloss er mit einem feinen Lächeln auf seinen hageren Zügen.
    Doch dazu sollte es nicht kommen, denn gerade als der Bräutigam die leicht verkniffenen Lippen seiner jungen Frau berühren wollte, geriet er durch einen heftigen Stoß aus dem Gleichgewicht und strauchelte gegen den Tisch mit der Hochzeitstorte. Die Braut selbst klammerte sich an dem Pastor fest, der Kronleuchter klirrte und schwankte, das Porzellan auf der langen Tafel klapperte, und in den Aufschrei der Gäste und Bediensteten mischte sich ein dumpfes Grollen, das aus der Erde klang.
    Nur wenige Sekunden indes dauerte das Ereignis, dann war der Spuk vorbei, und nur der hin und her pendelnde Leuchter erinnerte an das unerwartete Beben.
    Gustav Gutermann, der Brautvater, hatte sich als erster gefasst. Er sank auf die Knie, zog den abgegriffenen Rosenkranz aus der Jackentasche und begann zu beten. Weitere Gäste fielen in seinen monotonen Singsang ein, und bald lagen fast alle auf den Knien und folgten seinem Beispiel.
    Nicht jedoch Pastor Merzenich, nicht der protestantische Bräutigam.
    Und nicht die Braut.
    »Leonora!«, mahnte Gutermann zwischen zwei Ave Marias.
    »Nein, Vater, ich werde daran nicht mehr teilnehmen. Ich bin gestern konvertiert.«

    Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit fragte sich der frischgebackene Ehemann, was er da wohl für einen unüberlegten Schritt getan hatte.
    Für alle anderen Anwesenden übertraf diese Offenbarung sogar noch das Erdbeben. Ein allgemeines Gemurmel wurde laut, und das gemeinsame Gebet war vergessen.
    »Leonora!«, donnerte Gutermann, und die Angesprochene reckte das Kinn kampfbereit vor. Doch bevor sie etwas nicht Wiedergutzumachendes erwidern konnte, sprang Pastor Merzenich ein.
    »Ich selbst habe es angeregt, Gustav, denn es ist für alle Teile besser, wenn die eheliche Gemeinschaft sich in Glaubensfragen einig ist. Leonora hat die christlichen Regeln meiner Konfession als für sich annehmbar erachtet und ist freiwillig und mit freudigem Herzen übergetreten. Sie ist eine erwachsene, mündige Frau, und du wirst ihre Entscheidung billigen müssen.«
    Der Brautvater wollte zu einer Entgegnung ansetzen, die vermutlich die Stimmung weiter getrübt hätte, wäre in diesem Augenblick nicht die Hochzeitstorte umgekippt und zu Boden gestürzt. Das aufwändige Meisterwerk der Konditorkunst lag nun als ein unförmiges Häuflein Sahne, Biskuit und Erdbeeren auf dem kostbaren Perserteppich, und lediglich die zehnjährige Rosalie begrüßte diese Katastrophe mit einem freudigen Aufjauchzen. Sie sprang herbei, kniete auf dem Teppich und vergrub ihre Hände in dem süßen Trümmerhaufen. Nachdem sie sich Früchte und Krümel in den Mund gestopft hatte, lief sie mit sahneverschmierten Teigstücken zu der Braut und bot ihr den klebrigen Matsch mit einem strahlenden Lächeln an.
    »Rosalie, bitte!«
    Scharf wurde sie abgewiesen, doch ihr Lächeln erlosch dadurch nicht. Sie reichte ihre Gabe an den Bräutigam weiter, der nicht recht wusste, wie er sich verhalten sollte.
    »Edith, schaff dieses Kind hier raus und sieh zu, dass es sich wäscht!«, ordnete Leonora mit strenger Stimme an.
    Eine nicht mehr ganz junge Frau, deren schiefe Schulter ihr ein gedrungenes Aussehen gab, nahm Rosalie am Arm und sagte: »Lass deine Schwester in Ruhe. Du beschmutzt
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