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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Autoren: Greg Smith
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unverbindlich. Schließlich entschieden wir uns für ein Starbucks gegenüber dem Obersten Gerichtshof in der Strand. In London haben die meisten Cafés im Untergeschoss einen Lounge-Bereich. Also holten wir uns unseren Kaffee und gingen die Treppe hinunter, wo es ruhig war. Wieder hatte ich das Gefühl, mich in einem Film zu befinden.
    Landon merkte, dass es mir ernst war, und so wurde aus der Überprüfung ein Gespräch. Ich sagte ihm als Erstes, dass alles streng vertraulich bleiben müsse.
    Er stellte mir genau die Fragen, die ich erwartet hatte. Erstens: Weshalb wollte ich an die Öffentlichkeit gehen?
    Weil ich der Meinung war, dass es moralisch richtig sei, und weil ich etwas ändern wollte, sagte ich ihm. Es wäre mir verwerflich vorgekommen, nichts zu tun.
    Ob ich einen persönlichen Groll hegen würde?
    Nein. Aber ich war wahnsinnig enttäuscht darüber, dass ein Unternehmen, für das ich mich so sehr eingesetzt habe, die Orientierung verloren habe.
    Habe irgendwann in letzter Zeit die Gefahr einer Entlassung gedroht?
    Nein, sagte ich, ich hätte in meinem ersten Jahr in London den Umsatz in meinem Geschäftsfeld um fünfunddreißig Prozent gesteigert, die für Wertpapierhändler vorgeschriebene Prüfung abgelegt und die Zahl der Kunden, mit denen meine Abteilung Wertpapiergeschäfte machte, um achtzig Prozent erhöht. Meine jährlichen Leistungsbeurteilungen seien uneingeschränkt positiv ausgefallen.
    War ich unzufrieden über meine Boni oder darüber, dass ich nicht befördert wurde?
    Ich sagte ihm, ich hätte eine um zehn Prozent höhere Prämie als meine Kollegen kassiert und, ja, ich wäre gern befördert worden. Aber das Durchschnittsalter bei der Beförderung vom Vice President zum Managing Director sei 36,5 Jahre und ich sei erst dreiunddreißig. Mehrere Partner hätten mir gesagt, dass ich in etwa zwei Jahren mit einem Karriereschritt rechnen könne.
    Ob ich naiv sei, wollte Thomas wissen. Sei es an der Wall Street nicht schon immer so zugegangen? Hätte ich hinterm Mond gelebt?
    Nein, sagte ich. Aber nehmen wir einmal an, es wäre tatsächlich an der Wall Street schon immer so zugegangen. Wäre es deshalb in Ordnung? Außerdem hätten sich die Dinge verändert. In den drei Jahren seit dem Crash von 2008 habe das treuhänderische Verantwortungsbewusstsein der Bank so stark abgenommen, dass Goldman Sachs jetzt im Gegenteil versuche, die Kunden zu übervorteilen. Zugegeben, dies geschehe überall an der Wall Street, aber Goldman Sachs wolle doch eigentlich ein Vorbild sein. Spätestens 2012 hatte das Institut sich aber endgültig einer Strategie des «Gewinns um jeden Preis» verschrieben. Man habe nichts aus der Krise gelernt.
    Warum ich mich mit der Sache nicht an meine Vorgesetzten gewandt hätte?
    Ich sagte ihm, dass ich mich im Laufe des vergangenen Jahres an neun Partner gewandt hätte, um mit ihnen über Firmenkultur und Moral zu sprechen, dass sie mir hinter verschlossenen Türen auch zugestimmt hätten, dass es da ein massives Problem gebe, dass sie sich aber außerstande sähen, irgendetwas zu unternehmen. Sie verdienten einfach zu viel Geld.
    Wir unterhielten uns etwa fünfundvierzig Minuten lang und spazierten dann zurück.
    «Wie fühlen Sie sich jetzt mit dieser Entscheidung?», fragte mich Thomas. «Ihr Artikel wird wirklich erscheinen.»
    In der frischen, winterlichen Luft, in der einige wenige Sonnenstrahlen die Paulskathedrale noch majestätischer erscheinen ließen, sagte ich ihm, mir gehe es gut damit. Ich sei glücklich. Und ich sei zuversichtlich, dass ich einen – wenn auch vielleicht nur kleinen – Beitrag zur Behebung der eklatanten Missstände leisten könne. Aber ich sagte ihm, ich könne nicht vorhersehen, wie die Reaktion ausfallen werde. Keiner von uns beiden konnte das.
    Landon wünschte mir alles Gute. Vor der Goldman-Zentrale verabschiedeten wir uns, und er ging davon. Ich fuhr zum Handelssaal hinauf und begab mich zu meinem Schreibtisch.
     
    Der Artikel sollte schließlich am Mittwoch, den 14. März, erscheinen. Ich arbeitete bis zur letzten Minute daran. Alle Fakten waren gründlich überprüft worden, und ich war stolz auf meinen Text.
    Am Samstag, den 10. März, ging ich gegen 20 Uhr in den Handelssaal, um meinen Schreibtisch auszuräumen. Ich hatte bewusst einen Samstagabend ausgewählt, weil ich wusste, dass dann kaum jemand da war. Dies war eine Firma, in der ich mein gesamtes Arbeitsleben verbracht hatte, und ich wollte sie nicht fluchtartig verlassen. Ich
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