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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit
Autoren: David Vann
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vorzeitige kalte Wetter ein Rückschlag, aber sie hatten die Hütte fast fertig, und vielleicht würden sie durch den gemeinsamen Winter zu dem zurückkehren, was sie gewesen waren.
    Aber er wollte nicht, dass sie ihn so fand. Das sah schwach aus. Also stand er auf und aß den Müsliriegel, während er Tür und Rahmen betrachtete.
    Zum Teufel damit, sagte er schließlich. Er schlug ein Dutzend Nägel in die Ränder, allesamt oberflächlich, viele gebogen oder das Holz spaltend, aber zusammen würden sie halten. Scharfe Spitzen, die hinten rausstaken. Dann nahm er die Tür, schlichte weiße Pinie, und stellte sie in den Rahmen. Nicht sicher, wie er die Scharniere anbringen sollte, vor allem ohne Hilfe.
    Was er nicht verstand, war, wie er sich so hatte aufregen können. Sie hatte ihm den ganzen Tag geholfen – kein Essen, in der Kälte, der Schmerz in ihrem Kopf – und ungeduldig war er auch noch gewesen, und sie hatte es über sich ergehen lassen, und sie hatten eine Menge geschafft, mehr als an irgendeinem anderen Tag.Sie hatten das Dach gedeckt, das gesamte Dach. Aber dann wollte sie das letzte bisschen nicht mehr machen, einfach nur das Fenster annageln. Das hätte eine Viertelstunde gedauert. Und auf einmal sagte er alles, was er seit Wochen sagen wollte, seit Jahren. Und genoss es. Ein Kick. Ein körperlicher Kick, eine Wonne, obwohl sie weinte. Und wie war das möglich? Wie konnte er das genießen?
    Gary setzte die Tür auf Keile und nagelte die Scharniere an. Er spürte, wie der Rahmen beim Hämmern wanderte, klapprig. Er würde in der Stadt Winkel kaufen müssen, aber erst mal hielt es hoffentlich. Man musste sich selbst für einen guten Menschen halten. Das war der springende Punkt. Und wie konnte er sich für einen guten Menschen halten, wenn er es genoss, sie zum Weinen zu bringen? Ein Defekt bei ihm. Dem man nachgehen sollte. Ihre Ehe hatte irgendwie das Schlimmste aus ihm herausgekitzelt.
    Das Fenster war als Nächstes dran. Er hatte keine Lust, auf Irene zu warten. Der Rahmen dünn und aus Aluminium, also würde er nicht splittern, und er musste keine Nägel im Winkel einschlagen. Das hätten sie letzte Nacht wirklich in zehn, fünfzehn Minuten erledigen können.
    Er war allein beim Hüttenbau. Das war die Wahrheit. Die Ehe nur eine andere Form des Alleinseins. Er rückte den Tritt zurecht, hielt das Fenster hoch, lehnte sich dagegen, drückte es gegen die Wand und schlug einen Nagel ein. Hielt die anderen Nägel zwischen den Zähnen. Schlug an je einer Seite einen ein und konnte dannloslassen. Schlug den Rest ein, ringsum. Das läuft mir nicht mehr weg, sagte er.
    Gary trat zurück und betrachtete die Hütte. Die äußere Gestalt der Gedanken eines Mannes, hatte er immer gedacht. Ein Spiegel. Aber jetzt sah er, dass das nicht stimmte. Eine äußere Gestalt konnte man nur finden, wenn man die richtige Disziplin wählte, den richtigen Beruf, wenn man seiner Berufung folgte. Wenn man den falschen Weg wählte, konnte man nur ein Monstrum gestalten. Dies war ohne Zweifel die hässlichste Hütte, die er je gesehen hatte, Missverständnis und Fehlkonstruktion von Anfang an. Die äußere Gestalt dessen, was er war. Die wahrhaftigere Gestalt war verloren, hatte nie stattgefunden, aber er war eigentlich nicht mehr traurig oder wütend. Er begriff jetzt, dass es einfach so war.
    Gary ging nach hinten. Die Tür hatte sich nach außen öffnen sollen, aber sie ging nach innen auf. Also drückte er sie auf und blockte sie mit einem Stein, betrat zum ersten Mal seine fertige Hütte, eine Hütte mit Dach, Fenster und Tür, und er stellte den Tritt vors Fenster. Das war nicht das, was er sich vorgestellt hatte. In seinen Phantasien und Tagträumen war die Hütte innen warm gewesen, und er hatte in einem gemütlichen Sessel gesessen und Pfeife geraucht. Es hatte einen Holzofen gegeben, Felle von Bären und Bergziegen, Dallschafen und Elchen, Wolfspelze. Den Boden hatte er nicht gesehen, aber unbearbeitetes Sperrholz war es nicht gewesen. Und die Wände hatten keine Luft durchgelassen. Die Hütte seiner Phantasie war klein gewesen, hatte sich aber nach außen hin unendlich gedehnt, in dieserTraumzeit der Zugehörigkeit. Die Wände strebten hinaus in die Wildnis. Dieser See und die Berge wurden er. Keine Leere, keine Distanz. Und keine Irene. Nie, wenn er von der Hütte geträumt hatte, hatte er Irene gesehen. Das war ihm bis eben nicht klar gewesen. Sie saß nicht in einem Sessel neben ihm, stand nicht am Holzofen. Kein
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