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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit
Autoren: David Vann
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Trainingseinheiten wurden länger undlänger. Er war mindestens anderthalb Stunden zugange, jeden Tag, und dann musste er noch duschen. Dann essen und früh zu Bett. Sie waren hier im selben Raum, aber beim Sport mochte er nicht reden, und ohnehin lief sein iPod.
    Rhoda machte den Kühlschrank auf und fragte sich, wie viel von Jim sie eigentlich heiratete. Wie viel Prozent. Zehn Prozent seiner Aufmerksamkeit, etwas mehr Prozent seiner Zuneigung, neunzig Prozent seiner täglichen Bedürfnisse und Besorgungen, ein paar Prozent seines Körpers, wenige Prozente seiner Vergangenheit. Die Hälfte seines Geldes. So mochte sie es nicht sehen. Eigentlich sollten sie doch ihrer beider Leben vereinen. Eigentlich sollten sie jetzt gemeinsam auf der Couch sitzen, den Sonnenuntergang und die Broschüren betrachten.
    Lachs, Heilbutt, Karibu, Huhn. Nichts sprach sie an. Sie hatte keine Lust zum Kochen. Also machte sie den Kühlschrank wieder zu und ging zu Jim. Sie wartete, bis er die Ohrstöpsel herausgezogen hatte. Er sah unsäglich aus, fleckig und verschwitzt. Ich hole eine Pizza, sagte sie. Ich habe keine Lust zu kochen.
    Er schnaubte schwer. Pizza, weiß nicht recht, sagte er. Der ganze Käse. Nicht gut fürs Muffinhäubchen.
    In letzter Zeit nannte er seinen Bauch Muffinhäubchen, und er hielt Diät. Kein Alkohol, kein Nachtisch, keine Milchprodukte.
    Ich habe Lust auf Pizza, sagte sie.
    Wie wär’s mit einem großen Salat. Kannst du uns einen großen Salat machen, Schatzi?
    Scheiße, nenn mich nicht immer Schatzi. Was hat dich denn eigentlich gebissen? Wer bist du?
    Rhoda. Was ist? Vielleicht solltest du auch mehr Sport machen. Jeden Tag. Dann fühlst du dich besser.
    Rhoda sah auf ihren Bauch. Sie war noch immer schlank. Sie joggte drei Mal die Woche, und das reichte. Seit wann zählte ihr Joggen nicht mehr als Sport? Für mich reicht es aus, sagte sie. Ich brauche nicht mehr Sport.
    Ich rede nicht von deinem Gewicht. Ich meine nur, vielleicht fühlst du dich dann besser.
    Das ist eine dämliche Unterhaltung, sagte Rhoda. Das muss ich mir nicht antun. Ich will über andere Dinge reden. Das Satellitentelefon ist da, also muss ich raus zu Mom. Und das Hochzeitsplanungs-Paket ist gekommen, also müssen wir uns das heute Abend ansehen.
    Heute Abend weiß ich nicht, Schatzi. Vielleicht am Wochenende, wenn wir mehr Zeit haben.
    Rhoda wurde auf einmal so wütend, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Sie wollte nichts Böses sagen. Dies sollte eigentlich eine glückliche Zeit für sie beide sein, das Planen der Hochzeit und der Flitterwochen. Sie nickte nur und ging zurück zum Kühlschrank. Sie hatten Salat und Tomaten, eine unreife Avocado, Räucherlachs natürlich, den sie hineintun konnte. Pinienkerne. Genug für einen Salat. Noch ein bisschen Gurke. Na schön, dann würden sie eben Salat essen. Den brauchte sie noch nicht zu machen. Er war frühestens in anderthalb Stunden so weit.
    Rhoda ging ins Schlafzimmer, ließ ein Bad ein undzog sich aus. Legte sich nackt aufs Bett und wartete darauf, dass die Wanne volllief. Sie fror ein bisschen, aber das war ihr egal. Blickte an die Decke. Nichts von alledem entwickelte sich wie geplant, und sie konnte noch nicht mal richtig darüber nachdenken, weil sie die ganze Zeit an ihre Mutter dachte. Wie ihre Mutter gesagt hatte, sie wolle etwas Schlimmeres tun, als eine Schüssel durch die Scheibe zu werfen. Das hatte sie ernst gemeint. Rhoda wusste das. Sie wollte zerstören. Und wie war es dazu gekommen?
    Rhoda setzte sich mit einem Seufzer in die Wanne, obwohl sie noch nicht voll war. Tat Schaumbad hinein. Wie ein Hund in der Praxis, der darauf wartete, abgeschrubbt zu werden. Sie umschlang ihre Knie und legte den Kopf darauf. Versuchte, sich auf ihre Atmung zu konzentrieren und mit dem Denken aufzuhören, während das heiße Wasser anstieg.
    Als die Wanne voll war, drehte sie den Wasserhahn zu und lehnte sich zurück, schloss die Augen. Roch Birne und Vanille, das Schaumbad, zu stark. Ihr Körper lang und schlank und schwerelos. Sie stellte sich eine Wasserhochzeit vor, nur so zum Spaß. Alle trügen Taucheranzüge und Bleigürtel, die sie auf dem Meeresgrund hielten. Hellbrauner Sand wirbelte in Wellenformation, ein weißer Hochzeitsbogen ankerte im Grund. Eine Korallenwand als Kulisse, vor der sie Jims Hand hielt und in sein Gesicht blickte, von der Maske eingeschnürt, Atemregler im Mund, Lippen blassrosa. Die Gäste im Sand drapiert, die Kleider der Frauen ein toller bunter
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