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Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Titel: Die Unbekannten: Roman (German Edition)
Autoren: Dean Koontz
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waren. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er beschlossen, sich von der Kette zu lassen und das zu sein, was er in Wirklichkeit war. Ein Monster. Zwar noch kein vollständig ausgereiftes Monster, aber mit Sicherheit ein im Werden begriffenes Monster.
    Im Haus fand er Nora beim Kartoffelschälen am Spülbecken
in der Küche. Sie handhabte den Schäler geschickt.
    Früher oder später würde Henry ebenfalls eine Frau wollen, wenn auch nicht dafür, dass sie ihm die Mahlzeiten kochte. Nora war attraktiv genug, um ihn zu erregen, und die Vorstellung, sich gewaltsam zu nehmen, was seinem Bruder freiwillig angeboten worden war, besaß einen perversen Reiz.
    Sie bemerkte erst, dass er eingetreten war, als er fragte: »Hat das Haus eigentlich einen Keller?«
    »Oh. Henry. Ja, es hat einen großen Keller. Kartoffeln halten sich dort fast den ganzen Winter über gut.«
    Sie würde sich dort auch gut halten, aber er entschied sich gegen sie. Wenn der Zeitpunkt kam, sich eine Frau zuzulegen, würde er mit einem jüngeren Exemplar, das sich leichter einschüchtern ließ, besser dran sein, mit einer Frau, die nicht durch die Arbeit auf einem Bauernhof kräftig geworden war.
    »Wo ist Jim?«, fragte sie.
    »In der Scheune. Er hat mich hergeschickt, um dich zu holen. Er glaubt, mit einem der Pferde stimme etwas nicht.«
    »Es stimmt etwas nicht? Was fehlt ihm denn?«
    Henry zuckte die Achseln. »Mit Pferden kenne ich mich nicht aus.«
    »Welches ist es – meine Beauty oder Samson?«
    »Das in der zweiten Box.«
    »Samson. Jim liebt dieses Pferd.«
    »Ich glaube nicht, dass es etwas Ernstes ist«, sagte Henry. »Aber irgendetwas hat es.«
    Nachdem sie sich die Hände unter dem Wasserhahn abgespült und sie hastig an einem Geschirrtuch abgetrocknet hatte, eilte Nora aus der Küche.
    Henry folgte ihr durch das Haus und auf die vordere Veranda.
    Als sie die Stufen hinunterstieg, sagte sie: »Dann bist du also noch nie geritten?«
    »Ich kenne nur Fortbewegungsmittel mit Rädern«, sagte er.
    »Es gibt nichts Schöneres, als ein Pferd zu satteln und an einem frischen Tag zu den hoch gelegenen Wiesen zu reiten. Dann ist die Welt einfach perfekt.«
    Auf dem Weg zur Scheune sagte er: »So, wie du das sagst, klingt es reizvoll. Vielleicht sollte ich reiten lernen.«
    »Einen besseren Reitlehrer als Jim findest du nirgends.«
    »Erfolgreich als Farmer, als Dichter und im Umgang mit Pferden. Im Vergleich zu ihm hat man es als eineiiger Zwilling schon schwer.«
    Er sprach nur, um überhaupt etwas zu sagen, damit sie keinen Verdacht schöpfte. Keins seiner Worte enthüllte seine Absichten, doch etwas in seinem Tonfall oder die unbeabsichtigte Betonung dieses oder jenes Wortes musste ihren Argwohn geweckt haben.
    Ein paar Schritte vor der Scheune blieb Nora stehen, drehte sich um und sah ihn stirnrunzelnd an. Was auch immer sie aus seiner Stimme herausgehört hatte, musste sich in seinem Gesicht noch deutlicher ausdrücken, denn ihre Augen wurden groß, als sie seine wahre Natur erkannte.
    Unsere fünf Sinne stehen im Dienste des sechsten und
der sechste Sinn ist das intuitive Gespür für Gefahr, die Leib oder Seele droht.
    Er wusste, dass sie Bescheid wusste, und sie bestätigte ihm ihr Wissen, indem sie erst einen Schritt vor ihm zurückwich und dann noch einen.
    Als Henry die Pistole unter seiner Jacke herauszog, wandte sich Nora ab, um wegzurennen. Er schoss ihr eine Kugel in den Rücken und ließ eine zweite folgen, als sie schon auf dem Bauch lag.
    Nachdem er die Waffe weggesteckt hatte, drehte er Nora auf den Rücken. Er packte sie an den Handgelenken, zerrte sie in die Scheune und legte sie neben ihren Mann.
    Der erste Schuss musste sie sofort getötet haben. Ihr Herz hatte kaum Blut aus ihren Wunden gepumpt.
    Ihre Augen waren offen. Einen langen Moment starrte Henry hinein, in das Nichts, das früher einmal etwas gewesen zu sein schien, und er sah ihr wahres Wesen, nämlich, dass sie schon immer ein Nichts gewesen war.
    Bis zu diesem Tage hatte er noch nie getötet. Es freute ihn zu wissen, dass er dazu in der Lage war, und es freute ihn auch, dass er weder Schuldbewusstsein noch Angst verspürte.
    Wie Hamlet hatte er kein moralisches Bewusstsein, kein Gespür für eine heilige Ordnung. Im Gegensatz zu Hamlet stürzte ihn dieser Zustand jedoch nicht in Verzweiflung.
    Henry hatte in Harvard im Hauptfach Politologie belegt. Als Nebenfach hatte er Literatur studiert.
    Prinz Hamlet hatte den Studenten beider Fachrichtungen etwas
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