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Die Un-Heilige Schrift

Die Un-Heilige Schrift

Titel: Die Un-Heilige Schrift
Autoren: Helmuth Santler
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das der spätere Religionsstifter diesen Überzeugungen entnehmen sollte, war der Licht-Finsternis-Dualismus. Die Lehre des Mani wird häufig auch als Lehre von den zwei Naturen (Prinzipien, Substanzen) bezeichnet. Der polare Aufbau allen Seins ist eine Vorstellung, die sich ausgezeichnet mit der alltäglichen Lebenserfahrung verbinden lässt; heute ist das Yin-Yang-Symbol populär geworden, das für genau dieses Prinzip steht.
    Das Umfeld des jungen Mani war indes judenchristlich geprägt. Bereits mit 12 Jahren erschien ihm erstmals sein von Gott gesandter Gefährte und offenbarte ihm bis zu seinem 24. Lebensjahr „all das, was war und sein wird, all das, was die Augen sehen, die Ohren hören und der Gedanke denkt“.
Mani verband vier Denkweisen von Weltgeltung zu seiner eigenen Religion.
    Beseelt von seiner Aufgabe brach Mani nach China auf und ließ sich von den Lehren des Buddhismus inspirieren. Er selbst sah sich als Nachfolger der großen Propheten Jesus, Zarathustra und Siddharta Gautama und interessierte sich sehr für gnostische Ideen. Folgerichtig wurde seine Religion, die sich im 4. Jh. in Persien rasch auszubreiten begann, im Mittelmeerraum als „Kirche des heiligen Geistes“ bezeichnet und Mani selbst als der verheißene Paraklet angesehen, eine Art göttlicher Beistand, der in schwierigen Zeiten als „heiliger Anwalt“ auftritt. (Die biblischen Parakleten-Prophezeiungen wurden im Koran als Hinweise auf Mohammed verstanden. In anderen Weltgegenden wurde Mani als Wiedergeburt des Lao-Tse betrachtet oder auch als neuer Buddha.)

    Zwei Seiten aus dem Kölner Mani-Codex, der wichtigsten Quelle für die Vita des Religionsstifters. Es ist der kleinste Codex der Welt (3,5 × 4,5 cm), da zu seinen Gebrauchszeiten im 5. Jh. die Manichäer bereits Verfolgte waren und er leicht zu verstecken sein musste. Universität Köln, Papyrologie.
    Manis radikale Sicht der Dinge sah in etwa so aus: Das Leben ist ein ewiger Kampf von Licht und Finsternis, wobei zum gegenwärtigen Zeitpunkt Anteile des einen im anderen eingemischt sind. Das letztliche Ziel, die völlige Trennung der beiden Substanzen, um im reinen Licht aufgehen zu können, kann nur durch strikte und absolute Vermeidung von allem erreicht werden, das Finsternis in sich birgt: Geschlechtsverkehr sowie das Verletzen von Menschen, Tieren und sogar Pflanzen. Das bedeutet, dass die strengen Manichäer (die „Auserwählten“) weder in der Lage waren, sich fortzupflanzen, noch sich zu ernähren – selbst das Pflücken eines Apfels wäre bereits ein Akt der Finsternis gewesen.
    Es brauchte daher für die Notwendigkeiten des Überlebens noch die „Hörer“, die die „Siegel“ des Mundes (Verbot von Fleisch, Blut, Wein und Früchten), der Hände (Verbot der Berührung mit der Hand außer zur Begrüßung) und der Enthaltsamkeit, denen sich die „Electi“, die Auserwählten, verschrieben hatten, lediglich an Sonntagen befolgen sollten. Diese „zweitklassigen“ Manichäer mussten darauf warten, in einem späteren Leben zu den Electi zu gehören; woraus ersichtlich wird, dass der erfolgreiche Religionsstifer Mani auch die Seelenwanderung predigte.
    Mani hatte enormen Zulauf zu verzeichnen. Frühzeitig hatte er begonnen, seine Lehren aufzuschreiben, um spätere Schismen und Überlieferungsirrtümer zu vermeiden und von Anfang an für eine Verbindlichkeit über die Sprachgrenzen hinweg zu sorgen.
    Der Manichäismus war praktisch in der gesamten antiken Welt vertreten: Er gelangte von Spanien bis China – Letzteres auch deshalb, weil das Christentum nach seiner fortschreitenden Etablierung als Staatsreligion im 4. Jh. mit der systematischen Zurückdrängung der manichäischen Konkurrenzreligion begann. Zum Teil schlich sich aber wohl dennoch manichäisches Gedankengut ins Christentum ein: Kirchenvater Augustinus war zehn Jahre lang Hörer der Manichäer gewesen, bevor er über den Umweg des Skeptizismus und des Neuplatonismus zum Christentum gelangte. Seine stark dualistisch geprägte Schrift vom Gottesstaat und seine ausgeprägte Sexual- und Leibfeindlichkeit sollen nach Ansicht mancher Forscher manichäische Wurzeln haben.
Ist Augustinus' Sexualfeindlichkeit manichäischen Ursprungs?
    Seinen größten Erfolg konnte die synkretistische (lehrenverbindende) Religion im Jahre 762 verbuchen: Gerade in ihrer absoluten Hochblüte erklärten die Uiguren den Manichäismus zur Staatsreligion. Das heute etwa acht Millionen Menschen umfassende, großteils in China
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