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Die Un-Heilige Schrift

Die Un-Heilige Schrift

Titel: Die Un-Heilige Schrift
Autoren: Helmuth Santler
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hatte ja den Balanceakt zwischen Berufung auf das jüdische Gesetz und eigenständiger Profilierung zu wahren – das eigene Fundament in Bausch und Bogen zu verdammen stand weder ideologisch noch realpolitisch auch nur einen Moment zur Debatte.
    Der Elitarismus der Gnostiker war der entstehenden Großkirche ebenfalls ein Dorn im Auge – schließlich ging sie mit dem Anspruch an die Sache heran, einst „katholisch“, also wörtlich „universell“ zu sein.
    Scheinleibigkeit Jesu, strikte Ablehnung des Alten Testaments, göttlicher Dualismus, böser Schöpfergott: Der durchaus nachvollziehbaren Berufung auf solche Beweggründe fielen zahlreiche als gnostisch gebrandmarkte Schriften zum Opfer – im Einzelnen hervorragend dokumentiert spätestens seit den Funden von Nag Hammadi (Näheres dazu im Kapitel: Nag Hammadi – Ketzerbibel?).
    Christen vs. Selbsterkenntnis
    Rein politisch und machtideologisch war jedoch die Ablehnung der gnostischen Ausgangsbasis motiviert – dem Streben nach (Selbst)erkenntnis. Selbsterkenntnis hätte der Kirche das Monopol auf Erlösung im Glauben an Jesus Christus entrissen; Selbsterkenntnis hätte den mündigen, eigenständigen Menschen im Gegensatz zur viel zitierten friedlich-demütigen Herde unter der Schirmherrschaft eines Hirten gefördert.
    Der so gefährlichen, individualistischen Selbsterkenntnis musste entschieden entgegengetreten werden. Schriften mit derartigen, bald als „häretisch“ bezeichneten Inhalten wurden möglichst diskret aus dem Verkehr gezogen und in den Gemeinden nicht mehr verwendet.
Christliche Spiritualität sollte sich ausschließlich auf gute Taten beschränken – für die Kirche.
    Allerdings entspricht der Wunsch zur Selbstreflexion zu häufig dem Naturell des Menschen, um einfach unterdrückt werden zu können. Tatsächlich fanden Spuren gnostischen Denkens Eingang in den biblischen Kanon: Das umstrittene Johannesevangelium sei nach Meinung mancher Theologen eine gnostische Erlösungslehre, auch wenn natürlich auch bei Johannes weder die Welt von einem bösen Gott geschaffen wurde noch Jesus in Scheinleibigkeit scheingelitten hat. Ein Licht-Finsternis-Dualismus ist hingegen bei Johannes eindeutig präsent.
    Das war’s aber auch schon. Die offizielle Sprachregelung, mit der spiritueller Neugier und spirituellem Streben der Menschen begegnet werden sollte, lautete: Das höchste Ziel jedes Christenmenschen sei der Himmel, und um diesen zu erreichen, könne durchaus von jedem Einzelnen etwas unternommen werden. Gute Taten zu begehen nämlich, und zwar hier auf Erden.
Der Ablass – Vergebung und Erlösung als Dienstleistung mit fixen Tarifen.
    Aus diesem sicher wohlmeinenden Ansatz entwickelte sich mit der Zeit die Auffassung, diese guten Taten müssten direkt der römisch-katholischen Kirche zugute kommen, woraus über die Jahre das institutionalisierte Ablasswesen entstand – Vergebung und Erlösung als Dienstleistung mit fixen Tarifen. Wer es sich leisten konnte, war am Tiefpunkt dieser Entwicklung in der Lage, gleich einen Generalablass zu kaufen – für begangene wie für sämtliche zukünftigen Sünden. Kein Wunder, dass sich Martin Luther mit bissiger Kritik gegen diese Perversion jeglicher Spiritualität wendete. Bis die daraus entstandene Kirchenspaltung vollendet war, starben allein im Dreißigjährigen Krieg an die vier Millionen Menschen.
    Bittere Ironie der Geschichte: Der Ablass, auch der Generalablass, kann innerhalb der katholischen Kirche auch heute noch erlangt werden, wenn dafür auch kein Geld mehr verlangt wird. (Siehe http://www.opusdei.at/art.php?p=11416) Und Luther versuchte, die letzten Reste gnostischen Denkens aus der Bibel zu verbannen. Zwei der vier gerne für eine Charakterisierung der Reformation herangezogenen Grundsätze lauten: Sola gratia – allein durch die Gnade Gottes wird der glaubende Mensch errettet, nicht durch eigenes Tun (Römer 3, 21–28). Sola fide – allein durch den Glauben wird der Mensch gerechtfertigt, nicht durch gute Werke (Römer 3, 28).

Die Religion des Mani
    Eine Auflistung der wichtigsten Konkurrenz der entstehenden Großkirche wäre nicht vollständig ohne den Manichäismus. Diese Religion verband Einflüsse der Gnostik, des Buddhismus, des Zoroastrismus und des Christentums zu einer eigenen Botschaft.
Der Perser Mani sah sich in der Nachfolge Christi, Zoroasthras und Buddhas.
    Mani wuchs im 3. Jh. in Persien auf, im zoroastrisch geprägten Reich der Sassaniden; das wesentliche Element,
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