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Die Un-Heilige Schrift

Die Un-Heilige Schrift

Titel: Die Un-Heilige Schrift
Autoren: Helmuth Santler
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zugestanden. Zieht man für die Beurteilung auch noch die vorhandenen apokryphen Schriften heran, schält sich das Bild der Erleuchteten an Jesu Seite noch deutlicher heraus. Tatsächlich war ihre erste Rolle ja auch die der Apostelin der Apostel, mithin tatsächlich die legitime Nachfolgerin Christi.
     
    Magdalena mit Perlenkette im Haar. Lovis Corinth, 1919
    Maria Magdalena stand aber für ein gnostisches, elitäres Christentum, das sich im Zuge der Entstehung der Großkirche nicht durchsetzen konnte. Die patriarchalischen und frauenfeindlichen Elemente behielten die Oberhand und hatten im Laufe der nächsten Jahrhunderte reichlich Gelegenheit, das Image von Maria Magdalena gründlich zu demontieren. Zur Hure erklärt, blieb sie zunächst dennoch als Sündenheilige das Symbol für die unendlichen Vergebungsfähigkeiten Jesu bzw. dessen Exekutive auf Erden, der Ablass gebenden katholischen Kirche.
    Glaube und persönliches Seelenheil hatten für die Zeitgenossen dieses Magdalena-Bildes existenzielle Bedeutung – und die Macht der Kirche befand sich auf ihrem Höhepunkt. Nur so war es möglich, Maria ein weitestgehend asexuelles und ausgesprochen demütiges Image zu geben: Sie hatte sich unterworfen und gebüßt. Ihre sündhafte Vergangenheit bewies die „grundsätzliche Schlechtigkeit“ der Frauen, ihre „Eva-Haftigkeit“, ihr rückeroberter Heiligenstatus zeigte, dass „selbst“ Frauen auf den Pfad der christlichen Tugend zurückzukehren vermochten – wenn auch nur unter allergrößten Entbehrungen.

    MM in der Wüste. Emmanuel Benner 1886
    Parallel dazu war der Gedanke an die Apostola apostolorum immer noch lebendig; alle Darstellungen der Maria Magdalena, in der sie ihre Würde als Mensch vollständig bewahren darf, beziehen den dafür notwendigen Respekt aus dem Bild von der „Königin“; noch stärker trifft dies auf Abbildungen zu, in denen die Heilige durch grenzenlose Überhöhung über den einfachen Menschen betont wird.
    Immerhin folgten diese Einschätzungen bedingt auch der spirituellen Maria Magdalena und retteten so ein paar wenige gnostische Spuren ins katholische Christentum. Genauer gesagt die asexuellen: Die Frage nach dem erotischen Gehalt ihrer Beziehung zu Christus interessierte (wenigstens nach außen hin) nicht; wie wir aus der Kenntnis der gnostischen Schriften wissen, wurde auch dort die sinnlich-körperliche Begegnung allenfalls als eine frühe Stufe auf dem Erkenntnisweg gesehen. Zuvorderst ging es um die Menschwerdung jedes Einzelnen und zugleich um die Überwindung der Geschlechterdifferenzen in diesem allen gegebenen Ziel.
    Mit der Entwicklung des Topos von der büßenden Maria im Gleichschritt mit der allgemein fortschreitenden Säkularisierung rückte diese wenig beachtete Körperlichkeit dafür umso vehementer in den Vordergrund, bis sie sämtliche anderen Aspekte des Magdalena-Bildes überlagerte. In einer Welt der Entspiritualisierung wurde ein Vorbild für einen weiblichen Erlösungsweg nicht mehr gebraucht. Vielmehr musste Maria jetzt für die – nicht selten voyeuristische – Darstellung erotischer Liebe und Sehnsucht herhalten, mit dem die Künstler zugleich der schwächer werdenden Kirche die Versuchung vor Augen führten, die sie in ihren eigenen Reihen unter Verschluss gehalten hatte, der sie aber, wie jedermann wusste, aber bis dahin nicht zu sagen gewagt hatte, ständig nachgegeben hatten.
Seit 1969 ist Maria Magdalena keine Prostituierte mehr
    1969 raffte sich der Vatikan mit wenig mehr als 1.000 Jahren Verspätung auf und erklärte die 13 Jahrhunderte zuvor von Gregor dem Großen erfundene Gleichsetzung von Maria Magdalena mit der namenlosen „Sünderin“, die Jesus die Füße beweint, küsst und salbt, offiziell für irrig. Maria Magdalena war also niemals Prostituierte gewesen. Obwohl diese Änderung eines uralten Bildes natürlich nur langsam ins Bewusstsein der Christenheit sickert, wird seither die Beziehung zwischen Jesus und der nunmehr sozial mächtig aufgewerteten Maria Magdalena immer erotischer; zugleich genießen jene Strömungen vermehrten Zulauf, die der geliebten Jüngerin ihren verlorenen Platz an der Seite des Herrn zurückgeben wollen. Den Frauen steht die Hälfte der Welt zu, und Maria Magdalena analog dazu die Hälfte der christlichen Welt (mindestens).
    Ob diese Forderungen zusätzlich noch, wie beim Order of the Mary Magdalene, mit Fantasy unterfüttert sind oder das Ergebnis einer kritisch-historischen, feministisch-theologischen
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