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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition)
Autoren: Alfred Cordes
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Zeitlosigkeit fest, das macht ihn sterbensmüde und krank.
    Zwischendrin hat er die Phantasie, eine Armbanduhr, die er sich vom alten Sluiter leihen könnte, hülfe ihm weiter, da sie an seinem Handgelenk wahrscheinlich problemlos laufen würde, aber, so wird ihm rasch klar, es wird nichts nützen, er würde sie auf einen völlig beliebigen Zeitpunkt stellen müssen, und selbst, wenn er so die Zahl der Stunden zählen könnte: dieses Maß stammt aus einer verlorenen Welt.
    Schließlich fragt er sich, was überhaupt noch einen Sinn hat. Nach Amsterdam zu fahren, als Untoter durch die menschenleeren Ausstellungsräume des Rijksmuseums zu geistern und alte Meister zu betrachten, die allesamt vom Leben erzählen, auch wenn es ein paar Jahrhunderte vergangen ist? An ein Meer zu fahren, das sich als verstummt erweisen wird und eingedickt wie ein salziger Pudding, nur ein kraftloses Abbild sedierter Naturgewalt? Überhaupt noch unterwegs zu sein? Jede Fortbewegung macht nur Sinn in der Zeit, wenn man aufbrechen kann, auf dem Weg ist und ankommt.
    Irgendwann steht er auf, wäscht sich in der Küche der Sluiters die düsteren Gedanken ab, zieht sich an, nimmt seinen Proviant vor das Haus, setzt sich neben den Bettenhändler auf die Bank und frühstückt.
    Soll er umkehren? Neben Merreth auf dem Sofa sitzen, während ihre Mutter just den Tee reicht? Über das leichenstarre Dorffest flanieren, als wäre nichts geschehen? Sich immer wieder mit einem platonischen Kuß von Eva verabschieden, ihrem ertrinkenden Liebhaber zurückwinken und über die rätselhaften Gesetzmäßigkeiten der Zauberuhr grübeln? Das käme ihm vor wie eine dauerhafte Niederlage, schon der Weg zurück mit dem Rad würde äußerst mühselig, weil ihm ein straffer Wind von Selbstzweifeln entgegenstünde.
    Er betrachtet den Bettenhändler genauer. Ein alter Mann fürwahr, groß, schlank und sein Rücken krümmt sich wohl nicht nur nach vorn, wenn er vor seinem Haus sitzt und über den Kanal zu dem Fahrrad schaut, vom er so wenig wissen kann wie der unerkannter Gast von seinem abgelaufenen Leben.
    Oder ich bleibe, denkt Fokko, wo mich ein gnädiger Zufall hat stranden lassen, schlafe in dem wunderbaren Bett im Schaufenster von Sluiters Beddegoet , bleibe treu an des Alten Seite sitzen, blinzele in die untergehende Sonne und warte geduldig auf den Moment, da ein übermütiger Wind den Kanal heraufgestrichen kommt, sich für eine anmutige Sekunde unter dem flatternden Kleid der jungen Frau vergnügt, die indes schon mit Schwung über die Brücke, auf den Sattel zurück und in einer eleganten Kurve in einer der Nebenstraßen verschwunden ist.
    Die Ratlosigkeit , schreibt er in sein Tagebuch, verdichtet und verzehnfacht sich unter der Zeitlosigkeit. Es ist absolut sinnlos, Tage und Nächte zu zählen, die es definitiv nicht gibt. Vermutlich ist jetzt der achte Tag nach dem Stillstand, vielleicht auch die neunte Nacht, aber die Zeit ist mir hoffnungslos enteilt, und vielleicht findet das alles nur in meinem Kopf statt, bin ich Opfer eines exotischen Virus, den ich mir vor unendlich langer Zeit in einem Müllcontainer eingefangen habe. Und wenn ich nicht wahnsinnig bin, so werde ich es sein, wenn dieser Spuk jemals ein Ende finden sollte.
    Er klappt das Kassenbuch des Vaters zu.
    »Es hat auch keinen Zweck, irgendwas zu notieren. Das Schreiben funktioniert ebenfalls nur in einer verläßlichen Chronologie.«
    Er läßt seine Sachen, wo sie eben sind, muß nichts einräumen, nichts zusammenhalten, er ist allein auf der Welt. Er geht auf die Brücke, stützt sich auf das Geländer und schaut auf das Wasser. Die schwache Dünung, die er selbst auf dem Kanal zurückgelassen hat, wirkt wie aufgemalt. Dieser Tag besitzt ein Datum, an das er sich nicht erinnert, irgendetwas im April, so kommt es ihm vor. Er tritt an die Frau auf dem Fahrrad heran, legt die Hand auf ihre, die den Lenker hält. Das erinnert ihn schon an etwas.
    Die Einsamkeit ist so schwer wie ein fremder Planet.
    Als sein Blick auf das Rad an der Kastanie fällt, begreift er das als eindringlichen Hinweis: er muß sofort von hier verschwinden. Wird sich sonst doch an der jungen Frau vergehen, wird auf der Bank neben dem alten Sluiter verknöchern oder verdummen und eines Tages oder eines Nachts im Schaufenster der Bettenhändler still entschlafen. Wenn er sich nicht bewegt.
    Aber wohin?
    Ohne Eile holt er das Rad, packt seine wenigen Sachen, füllt die Wasserflaschen, richtet das Bett im Schaufenster und
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