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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition)
Autoren: Alfred Cordes
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einen roten Kopf, und ich bin von den Toten auferstanden, habe geheult, ihn mit aller Liebe wachgehalten und zum Arzt gebracht.«
    »Was sagt der?«
    »Sowas kommt vor.«
    Sie ergeht sich in medizinischen Hypothesen, schmiert sich das Brötchen, und als ihr eine Träne auf den Käse kullert, schnarrt die Klingel der Pavillontür.
    »Ich gehe«, sagt er, aber sie ist schon hoch, legt eine Hand auf seine Schulter und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. »Schon gut.«
    Der Kaffee hinterläßt eine spürbare Wirkung. Die Großhirnrinde entfaltet sich wie eine verknitterte Landkarte, die Synapsen sind die leuchtenden Seezeichen, hinter denen er eine vernünftige Landschaft weiß. Mein Kopf ist ein Buch, denkt er, in dem ich blättern kann, und wenn ich eine Seite umschlage, erscheinen die Bilder der nächsten.
    Er schielt zum Stoßdämpfer-Kalender hinüber. Die aufgeklebten Brustwarzen sind kalt und scharfkantig. So ist es gewesen. Das Wort vom Großvatersessel stand im Raum wie eine ewigwährende Verwünschung, die böse Fee war schon längst unter der Dusche zu hören, und Fokko van Steen wischte sich mit einem Taschentuch den mikrobischen Rest einer Banane von den Fingern, hörte entfernt die geriatrische Musik plärren, dachte, was geschehen würde, wenn er ganz einfach im Sessel, in der Wohnung, in ihrem Leben sitzen bleiben würde, und langsam zog sich sein Großhirn zusammen.
    Erschüttert hatte ihn in diesem Moment eher die Sorge, wie er einen geordneten Rückzug zustande bekommen sollte, ehe die Fee ihren Körper optimiert und sich ein paar neue Zauberkunststücke ausgedacht hatte. Er war plötzlich auf den Beinen, hatte den Rucksack in der Hand, die Telemann-Monographie, die Sandalen, die Radiozeitschrift, vollkommen nutzloses Krams, das jemand zusammenrafft, dem das Haus brennt, da flog sie vorüber, und in ihren Augen glitzerte ein spöttisches Licht, eben als er sich die Stiefel anzog. Eva, sagte er still, aber es drang nicht zu ihr vor. Aus der Küche erklang die Symphonie der Geschäftigkeit, das Klappern der Gerätschaften, irgend ein Bruzzeln in der Pfanne, dazu das selbstvergessene Pfeifen einer Melodie. Sie war sich selbst genug. Was hätte er sagen sollen?
    Anna ist zurück, schneidet an ihrem Käsebrötchen herum, als wollte sie es für irgendwas bestrafen, dann schiebt sie es von sich, greift sich den Kaffeebecher, nimmt einen Schluck und sagt: »Wenn ich nicht zufällig dagewesen wäre.«
    Fokko nickt. Aus dem Haus geschlichen hat er sich, den Schwanz eingezogen, vertrieben von den Befindlichkeiten einer Frau, von der er nicht weiß, ob sie ihn überhaupt je geliebt hat, und nun hofft er auf die Zuverlässigkeit der Unvernunft, die Macht der Zeit oder die der Gewohnheit, aber diese Gedanken verfliegen ihm aus dem Kopf wie ein paar Spritzer Sprit in der Sommerhitze.
    »Ich hätte doch eben im Keller sein können, um die Waschmaschine auszuräumen, hätte nur an der Wohnungstür einen kleinen Plausch mit der Nachbarin halten oder auf dem Balkon eine Zigarette rauchen müssen. Ich wäre zurückgekehrt und…«
    Sie verkriecht sich im Kaffeebecher. In ihren Rehaugen stehen die Tränen startbereit. Er verliert indes den Mut, es wird nicht reichen, stiekum in Evas Bett zu kriechen und darauf zu hoffen, daß ihm ihre periodische Depression unter der Decke Platz machen wird. Mag sein, daß eine Krise durchstanden ist, aber der Abschied von ihm ist es auch. Eva wird sich ebensowenig überlisten lassen wie die Zeit, die längst entschieden hat.
    »Tut mir leid«, sagt Anna und läßt die Tränen frei.
    Es ist vorbei, denkt er, und der Appetit ist ihm auf der Stelle verflogen. Er schiebt den Teller mit dem angebissenen Brötchen von sich, als hätte sich ein Schwarm Fruchtfliegen aus der Marmelade erhoben. Es ist aus, endgültig, sie will ihr Leben für sich allein, ohne jemanden, der sie mit alter Kunst und Musik behelligt. Aber er muß auf jeden Fall noch mal nach Hause und den Rucksack richtig packen, den Folianten über die Malerei des Goldenen Zeitalters, die beiden Hefte mit den Radioprogrammen, das Transistorradio und noch ein, zwei andere Sachen. Und die Kleider und der Rest? Mit eins wird ihm klar, was er denkt, wohin das führt, er stellt sich vor, mit Eva in einer Art Wohngemeinschaft weiterzuleben, da ihre divergierenden Lebensentwürfe die Begegnungen sowieso auf ein erträgliches Maß reduzieren würden, das ist alles eine Frage der Absprache, man müßte sich von dem Irrweg der
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