Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Trinity-Anomalie (German Edition)

Die Trinity-Anomalie (German Edition)

Titel: Die Trinity-Anomalie (German Edition)
Autoren: Sean Chercover
Vom Netzwerk:
weiter vor, beugte sich über das Geländer und schaute auf die Betonterrasse und den Swimmingpool darunter.
    Da verspürte er das Kribbeln.
    Er beugte sich noch weiter vor. Das Geländer gab ein wenig nach, aber es würde wahrscheinlich nicht ganz wegbrechen. Wahrscheinlich nicht. Unmöglich war’s nicht.
    Aus dem Kribbeln wurde ein Adrenalinrausch. Sein Herz raste, und Daniel stellte sich vor, wie Betonschrauben durch zerbröselnden Mörtel rutschten und das Geländer mit einem plötzlichen Ruck aus seiner Verankerung reißen würde. Er stellte sich vor zu fallen. Wie im Traum vom Fallen, aus dem man auf der Schwelle zum Schlaf ruckartig erwacht.
    Aber das Geländer hielt.
    Er richtete sich auf, atmete aus, ging wieder hinein, sah noch einmal nach seinen E-Mails – nichts Neues aus dem Amt – und nahm ein Taxi zum Jankara-Markt. Er schlenderte zwischen Ständen aus Wellblech und sonnengebleichtem Segeltuch umher, steuerte um die Bettler herum, wich gelegentlich einem Moped aus und blieb bei den Kunsthandwerkverkäufern stehen, weil er ein Geschenk für seinen Vorgesetzten suchte, der bald Geburtstag hatte. Ethnokunst kam immer gut an.
    Am Stand des Ju-Ju-Manns fand er ein wunderschönes Kruzifix. Das Kreuz war aus Ebenholz geschnitzt und auf Hochglanz poliert. Aber da der Korpus aus echtem Elfenbein war, verzichtete er.
    Als er weiterging, ließ er die grellen Farben und groben Strukturen, die schrillen Geräusche und beißenden Gerüche der siebtgrößten Metropole der Welt auf sich wirken. Der zweitgrößten auf dem Kontinent, der noch vor wenigen Generationen der schwarze genannt wurde.
    Das Aroma von auf einem Holzkohlegrill brutzelndem Fleisch, von Erdnüssen und scharfen Chilis lockte Daniel zu einem raucherfüllten, grünen Zelt, das gegenüber dem Voodoo-Laden zwischen zwei Ständen stand, von denen der eine von buntem, im Land handgefertigtem Schmuck überquoll, während der andere nachgeahmte Gucci- und Louis-Vuitton-Handtaschen aus Südostasien verkaufte, die mit Schmiergeld durch den Zoll geschafft worden und irgendwo vom Laster gefallen waren.
    Im Zelt saß, von Rauchschwaden umgeben, ein alter Mann –seine Haut dunkler als Ebenholz und sein Bart heller als Elfenbein –, der auf einem kleinen Grill Holzspieße mit verschiedenen Fleischsorten hin- und herschob und rief:
    »Suya, Suya!«
    An der Zeltwand hing eine Art Speisekarte:
    SCHWEIN
HÄHNCHEN
RIND
ZIEGE
    Daneben eine Zeichnung mit einer um einen Stab gewundenen Schlange, die ein großes Ei im Maul hielt. Damballah Wedo. Die Quelle – Schöpfer des Universums und oberster Loa der Ifa praktizierenden Yoruba und aller Anhänger der neuweltlichen Varianten dieser Religion wie Vodun in Haiti, Santería auf Kuba und Voodoo in den USA.
    Man hatte Daniel davor gewarnt, auf dem Markt Tiere zu kaufen, egal ob tot oder lebendig, gekocht oder roh. Manchmal wurden Katzen und Aasgeier als Hähnchen angeboten oder Hunde und Hyänen als Rindfleisch. Und die Gerüchte über das Schweinefleisch waren so schrecklich, dass man es sich gar nicht vorstellen wollte. Ziegenfleisch war am sichersten. Nach einer Weile konnte man es am Geschmack erkennen. Außerdem gab es Ziegen in Hülle und Fülle, denn sie waren billig in der Haltung, und es lohnte wahrscheinlich nicht, sie durch anderes Fleisch zu ersetzen. Daniel bestellte immer Ziege. Er hielt zwei Finger hoch.
    »Eji obuko, e joo.«
Zweimal Ziege, bitte.
    Der alte Mann schenkte ihm ein lückenhaftes Lächeln und reichte ihm zwei Spieße. Daniel gab ihm ein paar Geldscheine, den Gegenwert von fünfundzwanzig US-Cent. Er hätte auch gern fünf Dollar bezahlt, aber damit hätte er den Stolz des Mannes verletzt. Deshalb bezahlte er nur den Preis, der auf der Speisekarte stand.
    »E se«, sagte er.
Danke.
    Der alte Mann hielt eine Hand hoch. »Ko to ope. Kara o le.«
Bitte schön. Wohl bekomm’s.
    Daniel zwängte sich durch die Menge und erspähte eine ruhige Gasse hinter einem Obststand, in die er sich verdrückte, um sich auf eine leere Kiste zu setzen und zu essen. Das
suya
war köstlich, vielleicht sogar so gut wie das im Ikoyi. Und er war sich ziemlich sicher, dass es Ziegenfleisch war.
    Er stand auf und wischte sich die Finger an der groben Papierserviette ab. Dann drehte er sich um und sah knapp zwei Meter entfernt den Jungen stehen.
    Zuerst nur den Jungen, bevor er die Waffe wahrnahm.
    Er war höchstens dreizehn. Ein dünner Junge. Viel zu dünn, seine abgeschnittenen Jeans zwei Nummern zu groß,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher