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Die Treibjagd

Die Treibjagd

Titel: Die Treibjagd
Autoren: Emile Zola
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Dieses große Stück Himmel über diesem Endchen Natur hatte etwas Trauriges an sich; aus diesen immer fahler werdenden Höhen senkte sich eine solch' herbstliche Melancholie, eine so sanfte, betrübende Nacht hernieder, daß das Bois, welches allmälig in ein graues Leichentuch gehüllt ward, seine vornehme Anmuth verlor, von dem mächtigen Reiz der Wälder erfüllt ward. Das Rollen der Equipagen, deren lebhafte Farben im Dunkel verblaßten, erinnerte an das ferne Rauschen der Bäume und das Plätschern der Flüsse. Alles Geräusch erstarb. Inmitten der allgemeinen Ruhe hob sich auf der Teichfläche blos das Segel der großen Promenadenbarke kräftig und deutlich von dem leuchtenden Hintergrunde des Sonnenunterganges ab. Und dann sah man nichts weiter als dieses Segel, dieses anscheinend übernatürlich vergrößerte dreieckige Stück gelber Leinwand.
    In ihrer Uebersättigung empfand Renée eine Art unnennbaren Verlangens bei dem Anblicke dieses Landschaftsbildes, welches sie nicht mehr erkannte, dieser mit solcher Kunst verfeinerten Natur, aus welcher die anbrechende Nacht einen heiligen Forst, eine jener idealischen Waldlichtungen machte, in deren Tiefen die alten Götter ihren himmelstürmenden Liebesgefühlen, ihren ehebrecherischen und blutschänderischen Gelüsten fröhnten. Und in dem Maße, wie die Equipage weiterrollte, schien es ihr, als entführte die nächtliche Dämmerung hinter ihr, auf ihren zitternden Schwingen, das Traumland, den unzüchtigen, überirdischen Alkoven, in welchem ihr krankes Herz, ihr erschöpfter Leib endlich Befriedigung gefunden hätte.
    Als der Teich und das kleine Gehölz im Schatten versanken und nur mehr als dunkler Streifen zu unterscheiden waren, wandte sich die junge Frau mit einem Male zurück und in einem Tone, in welchem Thränen des Zornes zitterten, nahm sie den unterbrochenen Satz von neuem auf:
    »Was? ... etwas Anderes, ja! ich will etwas Anderes. Weiß ich denn was? Wenn ich Das wüßte! ... Allein, ich habe die Bälle, die Festlichkeiten, diese Soupers satt; die Sache bleibt sich immer gleich. Es ist zum Verzweifeln ... Und die Männer ... die Männer sind zum Sterben langweilig ...«
    Maxime begann zu lachen. Die aristokratischen Mienen der Weltdame verriethen heftige Begierden. Sie drückte die Lider nicht mehr zu, scharf trat die Falte auf ihrer Stirne hervor; ihre Oberlippe schob sich gleich der eines schmollenden Kindes begehrlich vor, unbekannte Genüsse heischend. Sie sah das Lachen ihres Begleiters, war aber schon zu erregt, um noch an sich halten zu können; halb liegend, den wiegenden Bewegungen des Wagens folgend, fuhr sie in kurzen, abgebrochenen Sätzen fort:
    »Ja, ja, Ihr seid zum Sterben langweilig ... Auf Dich, Maxime, hat Dies keinen Bezug, Du bist noch zu jung ... Doch wenn ich Dir berichten wollte, wie lästig mir Aristide im Anfange war! Und erst die Anderen! Jene, die mich geliebt haben ... Du weißt, wir sind zwei gute Kameraden; Dir gegenüber thue ich mir keinen Zwang an ... Nun denn, es ist wahr, ich habe Tage, da ich es derart müde bin, das Leben einer reichen, geliebten, respektirten Frau zu führen, daß ich eine Laura d'Aurigny, eine dieser Damen zu sein wünschte, die ein förmliches Junggesellenleben führen.«
    Und da Maxime noch lauter lachte, fügte sie hinzu: »Ja, eine Laura d'Aurigny. Das muß weniger langweilig, weniger gleichmäßig sein.«
    Sie schwieg eine Weile, als vergegenwärtigte sie sich das Leben, welches sie führen würde, wenn sie Laura wäre. Sodann nahm sie entmuthigten Tones von neuem auf:
    »Uebrigens mögen auch diese Damen ihre Stunden des Ueberdrusses haben, – auch sie. Nichts ist kurzweilig. Es ist zum Verzweifeln ... Ich sagte allerdings, ich wünschte etwas Anderes; Du verstehst vielleicht, ich selbst errathe es nicht; etwas Anderes, was noch Niemandem widerfuhr, was man nicht alle Tage antrifft, was einen seltenen, einen unbekannten Genuß böte ...«
    Sie hatte immer langsamer gesprochen und die letzten Worte wie in tiefes Sinnen versunken geäußert. Der Wagen rollte durch die Allee, die nach dem Ausgang des Bois führte. Die Schatten wurden immer länger; gleich einer grauen Mauer glitten zu beiden Seiten die Hecken dahin; die gelb gestrichenen Stühle, auf welche sich an schönen Abenden die feiernden Bürgersleute niederlassen, standen leer längs des Fußweges, in die schwarze Melancholie der Gartenmöbel versunken, welche vom Winter überrascht werden und das Rollen, das dumpfe,
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