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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters
Autoren: John Updike
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mit einer Frau, die nicht meine Frau war. Sie war die Frau eines anderen, und ich hatte selbst eine Frau, und diese spezielle Überfülle unserer Situation drohte über den Rand zu schwappen. Aber ich war jung genug, um im Jetzt zu leben, und glaubte,die Welt schulde mir Glück. Ich war selig, war außer mir vor Euphorie in Gegenwart dieser Frau neben mir im gemieteten Auto, einem roten Dodge-Coupé. Der Wagen hatte erst wenige Meilen drauf, und wie es einem mit unvertrauten Autos geht, es schien mühelos dahinzugleiten auf die leiseste Berührung meiner Hand oder meines Fußes. Genau so fühlte auch ich mich. Mit dieser Frau zu sein gab mir das Gefühl, mein Blut sei mit Kohlensäure versetzt. Sie trug ein breitschultriges Herbstkostüm aus Tweed, das ich noch nie an ihr gesehen hatte; sein warmes Braun, gesprenkelt mit Pimentrot, brachte ihre dichten rötlichen Haare zur Geltung, die sie am Hinterkopf lose zusammengefasst hatte – in meiner Erinnerung waren, wenn sie den Kopf wandte, um mit mir durch die Windschutzscheibe zu sehen, ganze Schlingen dieses Haars dem Schildpattclip entschlüpft. Wir müssen irgendwann an diesem Tag miteinander ins Bett gegangen sein, aber im Gedächtnis haftet mir, dass ich mit ihr im Innern des Autos saß, mir voller Stolz des Reichtums ihres Haars bewusst war, der Breite ihres Lächelns, des Umfangs ihrer Hüften, und dann, in meinem Glück, unbekümmert quer über eine wenig befahrene sonnige Straße in Passaic schwenkte, um mir eine mit Parkuhr bewehrte Lücke am Bordstein der linken Seite zu sichern.
    Ein Polizist sah das Manöver, und bevor ich die Tür öffnen konnte, stand er bereits da. «Führerschein», sagte er. «Und die Autopapiere.»
    Mein Herz hämmerte, und meine Hände zitterten, als ich das Handschuhfach nach dem Fahrzeugbrief durchwühlte, aber ich konnte mir nicht das Lächeln aus dem Gesicht wischen. Der Cop sah es, und es muss ihn zusätzlich erbost haben, aber er studierte die Dokumente, die ich ihm reichte,als bewältige er geduldig eine schwierige Aufgabe. «Sie sind auf die linke Seite der Straße übergewechselt», erklärte er schließlich. «Sie hätten einen Frontalzusammenstoß verursachen können.»
    «Es tut mir leid», sagte ich. «Ich habe die Parklücke entdeckt und sah keine anderen Autos kommen. Es war unüberlegt von mir.» Ich hatte einen der obersten Grundsätze beim Autofahren vergessen: ein rotes Auto zieht die Polizei an. Man kommt in einem roten Auto nicht davon, nicht mit dem kleinsten Fehler.
    «Es ist verboten, wie Sie jetzt parken. Ihr Wagen zeigt in die falsche Richtung.»
    «Ist das verboten? Wir sind nicht aus Passaic», mischte meine Beifahrerin sich ein; sie beugte sich tief über meinen Schoß, damit er ihr Gesicht sehen konnte. Sie sah so betörend aus in dem pimentgesprenkelten Tweed mit den dicken Schulterpolstern, dass ich dachte, ein anderer Mann müsse meine Verzauberung verstehen und verzeihen. Ihre langen ovalen Hände, die aus ihrem Schoß hochschnellten; ihre geschminkten Lippen lebhaft angespannt in der Hitze des Argumentierens; ihre Stimme, die fast fühlbar an mir vorüberstrich, wie sehr feinkörniges Sandpapier, das den kleinsten Makel an mir wegstreichelte – der Polizist musste doch meine staunende Dankbarkeit für das, was sie mit diesem Aufgebot erotischer Hilfsmittel für mich tat, teilen! Und obendrein war sie vornehm. Ihr Mann hatte Geld.
    Der Cop gab mir ohne ein Wort die Dokumente zurück und bückte sich, um an meinem Körper vorbei zu sagen: «Meine Dame, man fährt weder in Passaic noch sonstwo in den Vereinigten Staaten quer über Verkehrstrassen, um eine Parklücke in der Gegenrichtung zu ergattern.»
    «Ich fahre den Wagen weg», sagte ich und wiederholte unnötigerweise: «Es tut mir leid.» Ich wollte fort von hier; mein Gefühl von Fülle versickerte allmählich.
    Meine Gefährtin holte Luft, um dem Cop etwas zu sagen, ihm vielleicht von der idyllischen Stadt in Connecticut zu erzählen, aus der wir kamen und wo es vollkommen legal sei, quer über Verkehrstrassen zu fahren. Aber meine Körpersprache hatte ihr vielleicht den inbrünstigen Wunsch vermittelt, sie möge nichts mehr sagen, denn sie schwieg, die Lippen geöffnet, als halte sie eine Luftblase zwischen ihnen.
    Der Polizist, der ihre Absicht geahnt hatte und sich für eine Erwiderung bereit machte, richtete sich stumm in seiner ganzen missbilligenden Würde auf. Er war jung, aber es war nicht seine Jugend, die Eindruck auf mich machte;
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