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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition)
Autoren: Anke Napp
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Wärters einige zusammengekauerte Gestalten. Der Waffenknecht stieß den Gefangenen in den Kerker und schloss die Ketten an der Wand an. Alles ging sehr schnell. Die Tür wurde geschlossen. einer nach dem anderen rasteten die Riegel in ihr Bett. Das Geräusch hallte noch lang durch das unheimlich stille Gewölbe.
    Langsam gewöhnten sich die Augen des Gefangenen an das spärliche Licht. Er machte eine Gestalt aus, die auf ihn zutappte. Sämtliche Muskeln angespannt schob er sich an der Mauer hoch. Mit welcher Verbrecherbande mochte man ihn zusammengelegt haben? Es gab Gefangene, die in den Jahren ihrer Haft blutrünstig wie wilde Tiere wurden. Die Stimme des Schemens vor ihm klang allerdings recht menschlich, mit feinem italienischen Akzent: „Bruder Robert?“
    Der Komtur von Paris war ebenso erleichtert wie entsetzt. „Ihr seid auch hier, Pietro?“
    „Ja, Sire, das ganze Ordenshaus! Ich hatte allerdings gehofft, dass Ihr entkommen wäret, weil Ihr nach Sens aufgebrochen wart!“
    „Kurz nach St. Nicolas griffen mich königliche Söldner auf... Bei Gott, die ganze Komturei! Dann ist es wahr, was man mir sagte!“
    „Die Anklage? Ja. Aber wenn uns die Ankläger erst gegenübergestellt werden, wird es ein leichtes sein, diese böswilligen Gerüchte zu zerstreuen.“
    Bruder Pietro, Kaplan, sprach mit der Sicherheit des Rechtsgelehrten. Er hatte mehrere Jahre in Bologna studiert und versah das Amt eines Ordensprokurators am Heiligen Stuhl. Komtur Robert spürte die Schmerzen in seinen Handgelenken zu sehr, um diesen Optimismus zu teilen.
    „Ich wurde behandelt, als sei ich schon verurteilt“, sagte er.
    Aus der Menge der übrigen Gefangenen schallte eine schrille Stimme, in der ähnliche Ängste mitschwangen: „Was wird mit uns geschehen, Komtur Robert? Warum dürfen wir den Meister nicht sprechen?“
    Der Angesprochene wandte den Kopf, als sähe er in die Runde des Ordenskapitels. Aber hier umgab ihn nur Dunkelheit, und es fiel ihm schwer, gegen dieses schwarze Nichts anzusprechen. Doch seine Brüder erwarteten etwas von ihm. Wenn er schon keine Aufklärung geben konnte, so musste er ihnen wenigstens Mut und Trost vermitteln. „Ich weiß nicht mehr als ihr alle“, begann er, nach den rechten Worten suchend. Es kostete ihn Mühe, der eigenen Verwirrung Herr zu werden. In der Bedrängnis einer Schlacht hätte er gewusst, was es zu sagen galt. Aber sie waren nicht in der Gewalt der Ungläubigen, sonders des allerchristlichsten Königs Philipp von Frankreich.
    ”Ob wir leben oder sterben, wir sind des Herrn! Denkt an diese Worte, Brüder, die der Heilige Bernhard von Clairvaux an unseren Orden gerichtet hat. Gott prüft uns, und diese Prüfung werden wir tapfer ertragen…“
    „Ach Gott!“ kam ein zorniger Ruf. „Gott hat uns verlassen, merkt Ihr das denn nicht? Wir haben Akkon verloren, alle Festungen im Heiligen Land, eine nach der anderen! Und jetzt sitzen wir hier wie die Ratten in diesem stinkenden Loch!”
    „Es gibt keinen Grund, Gott zu fluchen, Bruder! Christus, der am Kreuz für uns gestorben ist, wird uns nie verlassen!“
    „Aber sein Vikar auf Erden hat uns in Ketten legen lassen!“
    „Ich weiß nicht, wie der Heilige Vater einen solchen Unfug überhaupt glauben konnte!” sagte Bruder Pietro. ”Aber ich werde in einer Petition um die Erlaubnis bitten, den Orden vor Gericht verteidigen zu dürfen! Dann wird Clemens die Wahrheit über diese Verleumdung erfahren! - Und jetzt, Lasst uns beten, Brüder!“
    Die einen laut miteinander diskutierend, die anderen noch ergriffen von stummem Entsetzen zerstreuten sich die Menschen. Sie schoben und drängten, und mancher reiche Bürger stieß dem zerlumpten Pilger rücksichtslos in die Seite.
    Weder dies noch das Stimmengewirr drangen in Jocelins Bewusstsein. Er stand reglos, auf seinen Pilgerstab gestützt, und starrte die leere Holztribüne vor dem Universitätsgebäude an. Mühsam krochen seine Gedanken den weiten Weg der vergangenen Stunden zurück. Stunden, die ihn in einen tosenden Strudel des Wahnwitzes hineingerissen hatten.
    Gestern war er in die Stadt gegangen, um mehr über das Schicksal seiner Ordensbrüder zu erfahren. Doch die Leute hatten höchstens mit einer unbestimmten Geste auf seine Fragen geantwortet. In einer Situation wie dieser lauerten Denunzianten der Inquisition überall, und ein Wort zuviel konnte einen unbescholtenen Bürger rasch als Ketzer ins Gefängnis wandern lassen. Irgendwo hatte er gehört, dass es am nächsten
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