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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition)
Autoren: Anke Napp
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Aufstellung und schmetterten eine Ehrenfanfare. Im selben Augenblick wurde auf der Spitze des Wehrturmes das Lilienbanner gehisst. Stolz ritt Philipp im Temple ein. Heute kam er nicht als Bittsteller, sondern als Sieger!
    Aus dem Halbdunkel des Treppenaufgangs tauchte die braun-weiße Dominikanerkutte des Großinquisitors Imbert auf. Seine gedrungene Gestalt und der breite Schädel mit der fleischigen gebogenen Nase täuschten. Hinter dem plumpen Äußeren lebte ein wendiger, brillanter Geist. Er betrat das Audienzzimmer des Königs, das noch am Morgen Privatgemach des Templermeisters Jacques de Molay gewesen war. Nach einem Kniefall vor seinem Beichtvater sagte Philipp: “Ich will, dass die Gefangenen noch heute befragt werden.“
    „Dein Eifer ist löblich, mein Sohn“, erwiderte der Großinquisitor sanft. „Ich weiß um deine große Liebe zu unserer heiligen Mutter Kirche. Doch es ist besser, mit der Untersuchung noch einen Tag zu warten. Dann haben die Gefangenen Zeit, sich über ihre Situation klar zu werden, den Hunger zu spüren, die Schmerzen der Fesseln... dann werden sie bereitwilliger aussagen.“
    Die Worte klangen in Philipp nach und beunruhigten ihn etwas. Inquisitor Imbert sprach von Männern, die gewohnt waren, Entbehrungen und Leiden zu ertragen. Würden sie überhaupt aussagen?
    „Gott führe die Templer zur Reue!“ fuhr Imbert fort. Seine Stimme schwang sich in das Gewölbe empor wie Donnergrollen. „Oh, Satan wird ihre Herzen verstockt machen, aber ich werde um sie kämpfen! Und Gott und alle Engel werden mit beistehen! Denn im Himmel wird größere Freude über einen bekehrten Sünder sein als über 99 Gerechte! - Sorge dich nicht, Philipp!“
    Der Inquisitor senkte seine Hand auf den Kopf des Königs.
    „Christus sei gelobt, der durch dich diese entsetzliche himmelschreiende Sünde ans Licht gebracht hat!“
    Philipp schloss mit einem frommen Amen. Imberts glühender Eifer würde ihm ohne Zweifel bald die Geständnisse einbringen, die nötig waren, um Papst Clemens zu überzeugen…
    Papst Clemens, den er ganz einfach übergangen hatte...
    „Vielleicht habe ich doch etwas zu rasch gehandelt“, sagte der König in jenem Ton gespielter Zerknirschung, der bei seinem Beichtvater nie die Wirkung verfehlte.
    „Dein heiliger Zorn ist verzeihlich, Philipp! Das Wohl Frankreichs erforderte dein schnelles Eingreifen. Wer eine Häresie entlarvt und sie nicht verfolgt, macht sich schuldig am Leib Christi, der Kirche!“
    Jacques de Molay stützte sich hoch und machte einige Schritte, soweit es die Ketten zuließen. Er hatte keine Ahnung von der Größe der Zelle im Louvre, in die man ihn gebracht hatte. Bis auf einen schwachen Schein durch das Gitter über der Tür hüllte Dunkelheit ihn ein.
    Er richtete die Augen auf dieses fahle Licht, versuchte zu begreifen, was geschehen war. Er befand sich im Kerker, in Ketten, Verbrechen angeklagt, bei deren Nennung allein ihn Abscheu erfasste. Er, souveräner Meister des Ordens der Ritter Christi vom Tempel Jerusalems! Noch gestern war er in Begleitung eines Gefolges von zwei Rittern, einem Kaplan, einem Schreiber und einem Schildträger durch Paris geritten. Noch gestern hatte er über das beste Heer der Christenheit geboten. Noch am Morgen hatte keiner in der Pariser Komturei Verdacht geschöpft, als Guillaume de Nogaret mit einer Schar königlicher Söldner Einlass gefordert hatte. Aus heiterem Himmel war der Blitz des Verderbens in das Haus des Tempels eingeschlagen.
    „Eine Untersuchung wegen des Zehnten“, hatte Nogaret vorgebracht, und die Tore waren ihm geöffnet worden. Mit der ihm eigenen Frechheit marschierte der Siegelbewahrer bis in den Kapitelsaal, verlas einen Erlass Seiner Allerchristlichsten Majestät Philipps IV. und erklärte die Brüder des Templerordens für verhaftet….
    Jacques de Molay horchte auf. Irgendwo knarrte eine Tür. Dann Schritte, das Schleifen von Eisenketten. Ein neuer Gefangener. Doch man brachte ihn nicht zu ihm, sondern in eines der anderen Verliese.
    „Wohin mit ihm?“ fragte der Waffenknecht ungeduldig. Der kahlköpfige Wärter maß den sich heftig wehrenden Gefangenen mit einem durchdringenden Blick.
    „Ach, zum Teufel! Ich hab‘ die Nase voll heute! 180 Gefangene an einem verdammten Morgen! Steck ihn zu den anderen!“
    „Ich sage dir, der macht uns noch Ärger! Die Sorte kenn‘ ich schon!“ knurrte der Waffenknecht, während er eine Tür aufsperrte. Für einen kurzen Augenblick beleuchtete die Kerze des
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