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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Autoren: Jocelyne Godard
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hatte sie volles Vertrauen. Lange hatte er gezögert, wie er sich entscheiden sollte, ohne dass ihn Jean unter Druck gesetzt hätte, der ihn aber nach einigen Jahren in Tours wieder in Rom sehen wollte. Und dann war Angela mit ihrer großen Liebe in seinem Leben aufgetaucht, und Julio hatte sich endgültig vom Priesterberuf verabschiedet, um Webermeister zu werden.
    Alix betrachtete die schönen Ensembles, die an den weißgekalkten Wänden hingen. Eines trug den Titel Geschichte des heiligen Johannes des Täufers und nahm sie besonders gefangen. Es schillerte farbenprächtig, weil gerade die Wintersonne mit dem goldenen Gewebe spielte.
    »Dieser Teppich ist ein wahres Wunderwerk. Aus wie vielen Teilen besteht das Ensemble?«
    »Augenblicklich sind es vier. Drei davon wurden in Brüssel angefertigt. Diesen hier hat man mir vor etwa sechs Monaten anvertraut. Ich webe ihn zum Teil mit Goldfaden. Weil der Wandbehang insgesamt aus sechs oder sogar acht Ensembles bestehen soll und Vorlagen verwendet werden, möchte ich gern, dass mir die Brüsseler Weber noch einen oder zwei andere geben. Vielleicht
lassen sie sich darauf ein, wenn ich mich an einer Pariser Werkstatt beteilige.«
    Alix betrachtete die anderen Teppiche an den Wänden ihres Kontors. Alessandro hatte alle geschäftlichen Dinge für sie geregelt. Für Alix war das Kontor von großer Bedeutung, weil manche der hier angebotenen Waren aus Flandern stammten. Einige der Arbeiten waren bereits fertig und konnten jederzeit verkauft werden. Andere wurden in ihren eigenen Werkstätten nachgefertigt, zum Teil unter Verwendung von Vorlagen, was bedeutete, dass man viel schneller weben konnte, weil die Motive bereits vorhanden waren.
    Wenn eine Werkstatt die Geschäftsabwicklung übernahm, erhielt Julio eine Provision. Alix hielt es genauso, weil sie eine ordentliche Meisterlizenz besaß und deshalb mit sämtlichen Webereiwaren handeln durfte.
    Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass ihr Kontor reibungslos funktionierte, verließ Alix Angela und Julio und ging über den Innenhof, wo Material und Waren gelagert wurden, in ihre Werkstätten.
    Arnold und seine Frau bereiteten ihr einen herzlichen Empfang. Ihr Sohn Guillemin war groß geworden, bald würde er alt genug sein, um seine Lehrzeit zu beginnen. Arnold war bereits seit Jahren Vorarbeiter und verstand sich gut mit Landry und Pierrot, der mittlerweile an einem Hochwebstuhl arbeitete.
    Die andere Werkstatt, die Mathias, unterstützt von Philippe und Grégoire, leitete, lief auf Hochtouren. Alix konnte sich einfach wieder an ihren Webstuhl setzen und neue Kraft aus ihrer Arbeit schöpfen.
    Philippe hatte nur Augen für Tania, beinahe hätte er darüber vergessen, Alix zu begrüßen, was diese ihm aber nicht übel nahm. Sie merkte, dass er sich Hals über Kopf in die schöne junge Frau
verliebt hatte, deren Geschichte er noch nicht kannte. Philippe ließ an dem Webstuhl seine Muskeln spielen, um Tania zu imponieren, und sie beobachtete ihn schweigend.
    Alix war beeindruckt, wie selbstbewusst Mathias die beiden Werkstätten führte. Arnold und die anderen betrachteten ihn, zumindest während Alix’ Abwesenheit, ganz selbstverständlich als ihren Meister. Mathias sah nicht von seiner Arbeit auf, als Alix hereinkam, sondern tat so, als wäre sie nie weg gewesen. Ihr gegenüber verhielt er sich jedoch sehr abweisend.
    Mathias beherrschte jeden Handgriff perfekt und behielt stets den Überblick. Ohne Zweifel hatte er Jacquous Platz eingenommen und war inzwischen ein genauso großer Handwerkskünstler wie sein Lehrmeister.
    Das große Ensemble Jungfrauen des Vatikans nahm allmählich Formen an. Die Teppiche waren auf die Hochwebstühle gespannt und beeindruckten schon jetzt durch ihre erstaunliche Komposition. Es war Mathias gelungen, Alix’ Ideen Wirklichkeit werden zu lassen.
    »Einen Teppich kannst du bald ausliefern. Das bringt gutes Geld«, sagte er, ohne sie anzusehen.
    Die Albträume der vergangenen Nacht hatten keine Spuren hinterlassen; Alix wirkte weder verrückt noch bedrückt. Mathias hatte recht behalten – vor ihren Webstühlen war Alix immer ruhig und beherrscht, überlegen und klug.
    »Das ist sehr gut, Mathias«, antwortete sie ihm freundlich, »aber zum Glück fehlt es uns nicht an Geld. Aus Florenz habe ich große Aufträge mitgebracht, und wie ich sehe, hast du inzwischen ganze Arbeit geleistet. Das bedeutet, dass ich lange nicht mehr auf Reisen gehen muss.«
    Mit diesen Worten zwang sie ihn, sie
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