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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai
Autoren: Frank Coates
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Straße.
    Die Schlüssel des Landcruisers lagen kalt in Malaikas Hand. Sie starrte sie an, fühlte sich wie vor ein paar Tagen, als sie die schlammige Straße nach Isuria entlanggefahren war – ein wenig unkontrolliert und in einem Tempo, von dem sie wusste, dass es gefährlich war. Sie musste die Dinge wieder zurück auf den richtigen Weg steuern. Sie musste anhalten und dann alles in Ordnung bringen. Nachdenken.
    Sie war froh, dass Jack ihr von seiner Vergangenheit erzählt hatte. Irgendwie liebte sie ihn für seine Fehler nur noch mehr. Er wirkte verwundbarer und daher menschlicher als zuvor. Sie war auch erleichtert, dass schwere Fehler zu machen nicht ihre alleinige Domäne war.
    Sie konnte akzeptieren, dass er Kenia jetzt verlassen musste, da sein Leben in Gefahr war. Aber würde sie ihn je wiedersehen? Sie hatten nicht wirklich darüber gesprochen. Sie hatten das Thema umkreist und hier und da vorsichtige Vorstöße unternommen. Aber immer, wenn ein Angriff auf das Thema unmittelbar bevorzustehen schien, hatte der eine oder andere zurückgescheut.
    Nun tat es Malaika Leid, dass sie nicht zuvor, als sie am Fluss warteten, die Gelegenheit ergriffen hatte, ihm zu sagen, was sie für ihn empfand. Es war ein seltsames Gefühl. Hier war ein Mann, der sie respektierte. Er akzeptierte sogar ihre Fehler und teilte ihr seine intimsten Gedanken mit. Von Gleich zu Gleich. Lange Zeit, so erkannte sie nun, hatte sie erwartet, dass er in ein Verhalten ähnlich dem der männlichen afrikanischen Stereotypen zurückfallen würde – chauvinistisch und untreu. Auf seine eigene stille Weise hatte Jack ihr das Gegenteil bewiesen.
    Sie musste es ihm sagen, bevor er in den Bus stieg. Sie begann es zu üben.
Jack, ich liebe dich. Es tut mir Leid, dass ich so lange gebraucht habe, um es dir zu sagen. Aber ich liebe dich wirklich. Ich liebe die Gefühle, die du in mir hervorrufst. Ich liebe es, wie du mich liebst. Ich verstehe, dass wir Probleme bekommen könnten – Menschen können grausam sein. Aber bisher haben wir es geschafft. Irgendwo auf der Welt muss es einen Ort geben, wo Zebras glücklich sein können.
    Der Bus nach Daressalam stieß Auspuffgase in die Menge, als er unter unregelmäßigem Rumpeln seines alten Dieselmotors zur Haltestelle schaukelte. Er war beinahe eine Stunde zu spät, und der Fahrer würde zwar noch vor Einbruch der Dunkelheit weiterfahren wollen, das aber nicht tun, bevor er so viele zahlende Kunden wie möglich an Bord genommen hatte. Die meisten davon waren ebenso wie Jack dabei, Fahrkarten zu kaufen.
    Malaika begann, an ihrem Plan zu zweifeln. War es klug, ihm zu sagen, dass sie ihn liebte, wenn er aufbrach? Was sollte er tun – aus dem Bus springen? Und dann? Das war Erpressung. Nein, das konnte sie ihm nicht antun. Es musste aus seinem Mund kommen.
    Malaika spähte über die Staubwolke hinweg in den westlichen Himmel. Bald würde es dunkel sein.
    Zwischen den Reihen von Bussen, hinter dem Durcheinander aus Reisenden, Taschen und diversen Fahrzeugen, tauchte eine einzelne Gestalt aus dem zuletzt eingetroffenen Fahrzeug auf – einem
Matatu,
das noch mehr Qualm und Rockmusik in das Pandämonium rülpste.
    Es war eine vertraute Gestalt, obwohl die Wolke von goldenem Staub, die sie umgab, es unmöglich machte, sie wirklich zu erkennen. Der Mann trug einen Speer und einen Schild. Lange, schlaksige Beine trugen ihn eher über die Menge hinweg als hindurch. Die Menschen blickten zu ihm auf, als er vorbeiging. Er kam auf Malaika zu und blieb stehen, als er nahe genug war, um sie berühren zu können.
»Sopa,
Engel«, sagte er. Dann grinste er träge.
    »Hepa,
mein Bruder«, antwortete sie auf Maa, weil sie sich im letzten Augenblick an ihre Massaimanieren erinnert hatte.
    Einige Zeit schwiegen sie beide. Malaika war gefangen in ihrem Staunen darüber, dass sie Kireko abermals unter solch seltsamen Umständen begegnet war. Ihr Bruder schien amüsiert über ihr ungewöhnliches Schweigen.
    Sie hätte ihn gern umarmt, wagte es aber nicht. Schließlich sagte sie mit typischer Massaiuntertreibung, von der sie wusste, dass sie ihrem Bruder gefallen würde: »Du bist weit von deinem
Enkang
entfernt.«
    »Ja.«
    »Wohin bist du unterwegs?«
    »Nach Mwanza. Du hast von Kokoo gehört?«
    »Ja. Die Leute aus dem
Enkang
kamen gerade zurück, als wir heute Mittag aufgebrochen sind.«
    »Sie stand im Herzen meines Lebens.«
    »Ja.« Malaika fühlte sich unbehaglich, in einer solchen Umgebung über ihre Urgroßmutter
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