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Die Toteninsel

Die Toteninsel

Titel: Die Toteninsel
Autoren: Hubert Haensel
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Freunde sah. Aber Tatsache war, daß am Rand der Lichtung jemand einen frischen Schnitt vorgenommen hatte. Die Frage blieb, wohin dieser Jemand verschwunden war.
*
    Bald darauf endete der Wald. Im fahlen Schein der inzwischen hoch stehenden Sonne, wurden etliche größere Bauwerke sichtbar. Sie übertrafen die bereits bekannten Tempel um ein Vielfaches an Größe; fast war man versucht, sie als kleine Paläste zu bezeichnen.
    Ihr Äußeres wirkte verspielt und paßte sich auf eigentümliche Weise der Umgebung an. Viele kleine Türmchen, Vorsprünge und Erker zogen die Blicke auf sich. Die Fenster besaßen hölzerne, kunstvoll geschnitzte Läden. Und auch hier hatten sich Moose auf den Mauern niedergelassen und rankten Efeu und andere Kletterpflanzen bis zu den schindelgedeckten Dächern empor.
    »Sie sind verschieden voneinander«, stellte Robbin fest. »Dort drüben stehen kleinere, die weniger Prunk aufweisen. Vermutlich wird es in ihrem Innern kaum anders sein.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, daß es sich ebenfalls um Tempel handelt«, sagte Fronja.
    Als Gerrek weiterging und auf der Kuppe einer Bodenwelle stand, konnte er nicht allzuweit entfernt weitere kleine Paläste erkennen. Acht waren es an der Zahl.
    »Welchem Zweck mögen sie dienen?« fragte er.
    »Um das herauszufinden, müssen wir in einen von ihnen eindringen.«
    Langsam umrundete Mythor das nächstgelegene Bauwerk. Dann breitete er in einer hilflosen Geste die Arme aus.
    »Wir könnten zu den Fenstern hinaufklettern«, schlug Gerrek vor und bedachte die aus großen Quadern zusammengefügten Mauern mit einem abschätzenden Blick.
    »Unsinn«, entgegnete Fronja. »Es muß einen Zugang geben. Wahrscheinlich wurde er magisch abgesichert.«
    Trotzdem entdeckte auch sie erst nach geraumer Zeit einen glatten, unter Ranken halb verborgenen Eckstein, der tief eingegrabene Symbole aufwies.
    Als sie mit beiden Händen die Vertiefungen berührte, durchlief ein Knirschen die Wand. Ein winziger Spalt entstand, der sich rasch ausweitete – ein mannsgroßer Felsblock schob sich zur Seite, ohne daß erkennbar wurde, welcher Mechanismus ihn bewegte.
    Dahinter lag ein düsterer, enger Gang, den das Tageslicht nur wenige Schritt weit erhellen konnte.
    Gerrek starrte in die Dunkelheit hinein.
    »Der Gang reicht höchstens doppelt so weit, wie ihr ihn einsehen könnt«, sagte er. »Dann schließt sich ein großer Raum an. Alles schaut ziemlich unbewohnt aus. Ich denke, wir können unbesorgt eintreten.«
    Die Luft roch schal und abgestanden, ein Hauch von Moder haftete ihr an, als hätte seit Jahren niemand mehr dieses Bauwerk betreten. Allerlei Ungeziefer floh vor den Eindringlingen. Eine faustgroße Spinne hatte ihr Netz quer über den Gang gespannt. Gerrek schimpfte lautstark, als er mit dem Kopf zwischen die klebrigen Fäden geriet.
    Der Raum, in den sie gleich darauf gelangten, war gänzlich anders als erwartet. Von kreisrunder Grundfläche, strebten die Wände schräg nach innen und vereinten sich hoch über dem Boden zu einer kuppelförmigen Wölbung. Im fahlen Lichtschein, der durch die Fenster hereinfiel, flimmerte der Staub. Sie waren so weit oben angebracht, daß wegen der überhängenden Wände niemand hinaufklettern konnte.
    Der Raum durchmaß gut zehn Schritt und war mindestens ebenso hoch. Er war vollgestopft mit allen Gegenständen täglichen Bedarfs. Da standen Wasserkessel und Kannen, auf einem elfenbeinernen Tischchen waren kostbare Schüsseln aus jenem weißen, dünnen Material gestapelt, das nur große Magier herzustellen vermochten und das bei unvorsichtigen Berührungen in Stücke zersprang.
    »Das ist wertvoller als Gold«, sagte Fronja. »Einige Zaubermütter besitzen solche Schüsseln, die sie wie ihren Augapfel hüten.«
    An den Wänden hingen nicht minder kostbare Gewänder. Manche waren reich an Stickereien, andere stachen durch ihre besondere Färbung ins Auge.
    Auch Waffen waren da. Mit Edelsteinen besetzte Langschwerter, versilberte Kriegskeulen und Jagdbogen, deren Anblick allein schon ihre Treffsicherheit verriet.
    »Das ist wie eine Pfader-Stelle«, stellte Robbin zögernd fest. »Du findest alles hier, was du zum Leben benötigst.«
    »Ich glaube kaum«, erwiderte Mythor, »daß die Gebäude für diesen Zweck gedacht sind.«
    »Da sind Nahrungsmittel«, rief Gerrek. »Allerdings sitzt der Schimmel fingerdick auf ihnen.«
    Fast gleichzeitig stieß Fronja einen erstickten Schrei aus. In der Mitte des Raumes, vom Eingang abgewandt,
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