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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs
Autoren: Dagmar Trodler
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…?« Die Sonne leistete ihr Gesellschaft beim Trauern. Voller Anteilnahme brannte sie sich auf Imas Scheitel, bis diese es kaum noch aushielt.
    Männer, die den Strand absuchten, zogen an ihnen vorüber. Ima nahm allen Mut zusammen und bat sie, den Mönch mitzunehmen. Er hatte es nicht verdient, sich in der Hitze in das zu verwandeln, was all den anderen gerade geschah. Mit einem dicken Kloß im Hals sah sie ihrer Freundin hinterher, die vielleicht das Privileg haben würde, als eine der Ersten ein kühles Grab zu bekommen.
    Irgendwie war das ein gutes Gefühl.
     
    Und dann hatte der Sandstrand ein Ende. Er hörte einfach auf. Ein pinienbewachsener Fels begrenzte ihn, Wellen brachen sich fröhlich und weiß schäumend an seinem Fuß, als wäre der Geruch des Todes nichts als eine fixe Idee im Kopf des Betrachters. Nur wenige Ertrunkene hatte die See hierher gebracht, die meisten waren in der Nähe von Otranto an Land geschwemmt worden. Ein paar Schiffsteile ruhten glänzend in der Sonne, die sich redlich Mühe gab, den Geruch zu überstrahlen. Ima musste sich die Kapuze vors Gesicht ziehen und stolperte noch ein paar Schritte weiter, um das größere Schiffsteil herum, auf die andere Seite. Vielleicht gab es dort Schatten, wo man ausruhen konnte. Sie war so müde.
    Eine der weißen Binden flatterte im Wind. Wie eine Schlange wand sie sich durch den Sand, und ihr Ende tanzte triumphierend zur Melodie der Wellen. Alle Knoten hatten sich gelöst - die Binde war frei.
    Stumm vor Entsetzen sank Ima auf die Knie. Das Schlucken fiel ihr schwer, selbst das Atmen, der Herzschlag setzte aus, nur kurz, aber dann noch einer, und noch einer … sie fiel auf die Hände, hielt sich abwechselnd mit der Rechten oder der Linken den Mund zu, um nicht loszuschreien.
Schreien wäre das Ende. Schreien machte alles noch schlimmer.
    Er lag neben dem toten Herzog. Aus dem zerfetzten Gambeson schauten Wollbüschel heraus, die sich leise im Wind wiegten. Strähnen seines schwarzen Haares reckten sich, vom Wind hervorgelockt, dem Himmel entgegen. Mit jeder spielerischen Bö wehte ein Hauch Sand in sein Gesicht. Eine feine Schicht hatte sich auf die feuchte Stirn geklebt, die eine Wange lag bereits im Sand vergraben. Auch zwischen den Wimpern hingen Sandkörner, die Lider zuckten nicht unter dem Gewicht …
    »Gérard«, flüsterte sie tonlos. Um sie herum begann sich alles zu drehen, ihr wurde kalt, obwohl die Sonne brannte. Ihr trockener Mund lechzte nach Wasser, doch jeder Tropfen hätte nur Erbrechen ausgelöst - da lag er. Auf allen vieren kauernd, schaffte sie es, gegen den Schwindel anzukämpfen, und wartete wie erstarrt, bis die Welt sich wieder ruhig drehte. Dann kroch sie mühsam näher, schleppte sich durch den heißen, trockenen Sand zu ihm hin, und ihre Sinne waren so betäubt, dass sie vom Geruch des Herzogs nicht erreicht wurden.
    »Gérard …«
    Er rührte sich nicht. Nur der Wind spielte mit seinem Haar und gaukelte ihr vor, dass die Brust sich hob. Mit erhobenen Händen rutschte sie um ihn herum, wagte kaum, ihn anzufassen. Die Axt löste sich aus ihrem Kopf und gab dem Wasser freien Lauf. Dicke Tränen rannen ihr über das sonnenverbrannte Gesicht. Das Feuer, das sie schürten, war nichts im Vergleich zum Schmerz in ihrem Herzen. Ich habe ihm nichts mehr sagen können, ging es durch ihren Kopf, ich habe ihm nichts mehr sagen können, nichts, kein Wort, kein Kuss, keine Hand … Zu spät.
    Brutal und endgültig war das Leben, unbedeutend und machtlos der Mensch.

    Sie ertrug es nicht, den Herzog noch einmal anzuschauen. Sie hatte den Toten häufiger angefasst als jeder andere Mensch - jetzt war es genug. Er lag immer noch auf dem Bahrenbrett, auf dem sie ihn im Lager von Kephalonia zur Sicherheit festgebunden hatte und dem er verdankte, an Land geschwemmt worden zu sein. Wie Ima war der Guiscard in einer schützenden hölzernen Hand über die Wellenkämme geritten, und diese Hand hatte ihn vor dem Kentern bewahrt. Doch nun wollte sie ihn nicht mehr ansehen. Sie wandte ihm den Rücken zu und kauerte sich zu Gérard, um dort zu wachen und irgendwann für immer einzuschlafen, so wie er es getan hatte. Fliegen summten um seinen Kopf herum, das Meeresrauschen schaffte es nicht, ihr Gebrumm zu übertönen. Sie versuchte, die Fliegen mit der Hand zu vertreiben, beugte sich vor - und zwei Tränen fielen auf Gérards Gesicht.
    Er zuckte mit der Wange, dann sog er Luft durch die Nase ein.
    Ima schlug die Hände vor den Mund. Noch
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