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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs
Autoren: Dagmar Trodler
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wie er spürte, dass ihr Blick über seinen Rücken glitt, und wie er spürte, dass sie nach einem Ausweg suchte. Ich brauche dich nicht . Da gab es keinen Ausweg.
    Er holte tief Luft und riss sich das zerfetzte, dicke Gambeson vom Leib. Mit dem Messer trennte er einen Streifen von seinem Hemd, um ihn sich vor Mund und Nase zu binden. Dann faltete er die Wachstücher, die sich in der schweren See dem Wasser bereitwillig geöffnet hatten, über der Brust des Herzogs zusammen. Die See hatte sich ihren Teil vom Leichnam geholt, nun verrichtete die Natur weiter ihr grausiges Werk. Viel würden sie dem Grab nicht mehr übergeben können. Die weiße Binde war glücklicherweise lang genug, um Roberts Wachstuch in der Mitte zusammenzuhalten. Ächzend hob Gérard die Bahre an und schob die Binde unter ihr durch.

    Da war Ima aber schon auf der anderen Seite, ohne dass er sie bitten musste. Sie nahm das Ende entgegen und zog die Binde stramm. Schweigend verknoteten sie die Stofffessel unter den Armen auf seiner Brust, sorgfältig darauf achtend, die Hände des anderen nicht zu berühren. Ein herumliegendes Seil fesselte den Leichnam noch besser an die Bahre. Undenkbar, ihn unterwegs zu verlieren … Wie durch ein Wunder hatte die Verhüllung des Kopfes gehalten, dort war nichts neu zu befestigen. Und irgendwie würde es wohl gehen. Er hatte keine Ahnung, wie weit der Weg sein würde.
    Sie sahen sich an. Gérard nickte. Da zog sie ihren dunklen Mantel aus und breitete ihn über den Herzog. Kurz ruhte ihre Hand auf dem Mantel, als ob sie Zwiesprache mit dem Schlafenden hielt. Gérard nahm ein am Boden liegendes Schwert an sich und schob es in den Gürtel. Dann begann der lange Weg. Sie schleiften die Bahre an den vorderen Griffen hinter sich her und zogen sie durch den trockenen, brennend heißen Sand, der sich offenbar vorgenommen hatte, ihnen jeden Schritt so schwer wie möglich zu machen.
    Die beiden Griffhölzer, die den unteren Rand der Bahre formten, hinterließen zwei dunkle Spuren, nicht immer gerade, aber immer beisammen, ohne sich voneinander zu entfernen. Zusammen mit ihrer beider Fußspuren ergab das Ganze ein beruhigendes Bild von Ewigkeit - das ging Gérard durch den Kopf, als er während einer Rast zurückblickte und den Weg, den sie zurückgelegt hatten, bis zum Horizont verfolgen konnte.
    Doch die beiden Spuren verliefen voneinander getrennt, wie Ima und er - hoffnungslos. Jener Satz blieb zwischen ihnen stehen.
    Immer öfter mussten sie anhalten und verschnaufen, weil Ima nicht genug Kraft hatte, den Bahrengriff zu halten. Mal glitt er ihr aus der Hand, mal setzte sie ihn ab. Gérard wartete
geduldig und stumm. Ein falsches Wort, und sie würde ihn mit seiner Last allein lassen. Es war ohnehin unter ihrer Würde, diese Bahre zu tragen, und er empfand brennende Scham, dass er ausgerechnet sie um Hilfe hatte bitten müssen. Doch sie schleppte ihren Teil, ohne zu murren, und das beeindruckte ihn zutiefst.
    Und so bekam er den furchtbaren Strand von Otranto in seiner ganzen Länge zu sehen, all die Ertrunkenen und von Wellen Erschlagenen zwischen den Wrackteilen und Trümmern, zwischen Kleidungsfetzen und schwarzem Seetang, und er sah Scharen von Möwen, Krähen und schwarz schimmernden Kormoranen, die sich auf ein Gelage zu freuen schienen. Menschen mit Tüchern und Stöcken schlugen schreiend nach den gierigen Vögeln, während sie sich bemühten, einzelne Tote aus dem Sand zu ziehen - solche, die man vielleicht erkannte oder die, der Kleidung nach zu urteilen, keinen Platz in einem Massengrab verdient hatten.
    Gérard ließ die Bahre fallen und sank voller Entsetzen auf die Knie.
    »Allmächtiger, ich danke Dir!«, rief er aus. »Ich danke Dir für Deine Rettung und Deine Barmherzigkeit - danke …« Er brach in Tränen aus und stammelte Fetzen des Pater noster, »… adveniat regnum … fiat voluntas tua … et dimitte nobis debita nostra …«
    Neben ihm raschelte es. Ima kniete und brachte das Gebet so zu Ende, dass der Allmächtige es auch verstand: »Sicut et nos dimittibus debitoribus nostris, et ne nos inducas in tentationem, sed libera nos a malo. Quia tuum est regnum et potestas et gloria in saecula, amen.«
    »Amen.« Er drehte den Kopf. Sie schenkten sich gegenseitig einen Blick. Ein Wort nur hätte geholfen, hätte alles viel leichter gemacht - doch der Satz stand zwischen ihnen.
    »Was schleppt ihr denn da fort - schämt ihr euch nicht zu plündern - Diebe, Halunken!«, brüllte da jemand und
kam
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