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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Nikolai Gogol
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gelungen, Tschitschikows Wandlung künstlerisch glaubhaft zu machen. Die Figuren des zweiten Bandes ähnelten entweder in ihren negativen Zügen denen des ersten oder verblassten zu Idealgestalten. Gogols Bestreben, das zeitgenössische gesellschaftliche Leben Russlands als inneren Läuterungsprozess einzelner Individuen zu begreifen, erwies sich als eine wirklichkeitsverstellende Ideologie, die in zunehmendem Maß mit dem künstlerischen Talent des Dichters in Konflikt geriet. Deshalb verbrannte er 1845 die Manuskripte des zweiten Teils der Toten Seelen und 1852 den bereits abgeschlossenen zweiten Band. Den dritten Band hat er nicht mehr in Angriff genommen.
    Die Fabel des Romans, die Gogol dem mit ihm befreundeten Dichter Puschkin verdankt, ist in ihrem Aufbau sehr einfach: Der Kollegienrat Tschitschikow reist durch die russische Provinz und kauft »tote Seelen« auf, d.h. verstorbene Leibeigene, die aber noch in den staatlichen Steuerlisten geführt werden und für die der Besitzer bis zur nächsten – nur alle zehn Jahre stattfindenden – Revision Abgaben zu leisten hat. Tschitschikows betrügerisches Vorhaben geht dahin, die zu einem Spottpreis erworbenen Seelen bei Kreditinstituten zum Marktwert zu verpfänden und so zu Reichtum zu gelangen. Gogol benutzt die Rundreise seines Protagonisten gleichsam als Spiegel, der in grotesk übertreibender Verzerrung ein breites Spektrum von Gestalten aus dem russischen Landadel und der städtischen Beamtenschaft vorführt. Charakter und Absicht Tschitschikows bleiben im Fortgang der Erzählung lange in geheimnisvolles Dunkel gehüllt. Erst das Schlusskapitel beschreibt seine Vergangenheit und deckt das Gewinnstreben als treibende Kraft seines Handelns auf. Viele Interpreten sehen daher in Tschitschikow den Typ des in der zerfallenden Feudalgesellschaft emporsteigenden Geschäftemachers.
    Es sind gerade die Durchschnittlichkeit und Anpassungsfähigkeit Tschitschikows, die sein jeweiliges Gegenüber dazu zwingen, das eigene Wesen zu enthüllen. Vor dem Leser ersteht eine ganze Galerie seelisch und geistig deformierter Gutsbesitzertypen, von denen jeder auf Tschitschikows seltsames Kaufangebot anders reagiert. Der süßliche, phrasenhafte Manilow, der ihm die toten Seelen als »vollkommenen Dreck« überlässt; die abergläubische Koroboschka, die in ihrer Geschäftstüchtigkeit nichts mehr fürchtet, als ihre Seelen »unter dem Preis« zu verkaufen; der bärenhaft-brutale Sobakewitsch, der seine verstorbenen Leibeigenen über alles lobt, um einen möglichst hohen Verkaufspreis zu erzielen; der lügnerische und zanksüchtige Nosdrew, vor dessen Handgreiflichkeiten Tschitschikow das Weite suchen muss; schließlich die groteske, bis zur Unmenschlichkeit verwahrloste Gestalt des Geizhalses Pluschkin – sie alle sind »tote Seelen« im eigentlichen Sinn. Die Satire erreicht ihre paradoxe Spitze darin, dass die verstorbenen Leibeigenen teilweise in frischen, lebendigen Farben geschildert werden, während ihre Besitzer, die wahren »toten Seelen«, wesentliche Züge menschlicher Existenz vermissen lassen. Jeder der beschriebenen Typen findet sein getreues Abbild in den ihn umgebenden Dingen. Durch diese Projektion des Inneren in die Außenwelt treten die Grundzüge der einzelnen Charaktere mit umso größerer Plastizität hervor.
    Die Einwohner der Provinzstadt, vor allem die Beamten, mit denen Tschitschikow zu tun hat – auch sie »tote Seelen« –, sind im Vergleich zu den Gutsbesitzern weit weniger individualisiert. Sie erscheinen oft in satirischen Gruppenporträts oder in komischen Gegenüberstellungen wie die »einfach angenehme Dame« und die »in jeder Beziehung angenehme Dame«. Klatsch, Intrigen und Banalität beherrschen das Leben der Stadt. Bald laufen auch über Tschitschikows Geschäfte die phantastischsten Vermutungen um. In diesen Gerüchtwirbel ist auch die – von der Zensur besonders beanstandete – »Erzählung vom Hauptmann Kopjeikin«, einem Invaliden, der in Petersburg vergeblich um eine gerechte Unterstützung kämpft, eingebettet. Nachdem der Postmeister diese Geschichte im Stil des ›skaz‹, einem volkstümlich stilisierten mündlichen Erzählstil, berichtet hat, stellt sich heraus, dass sie mit Tschitschikow auch nicht das Geringste zu tun hat. Die Gerüchte zwingen Tschitschikow zuletzt, die Stadt fluchtartig zu verlassen. Der Roman endet mit dem Bild der dahinjagenden Troika Tschitschikows, das ins Visionäre ausgeweitet wird.
    Die
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