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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Nikolai Gogol
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einem Falle, wo es unmöglich ist, die Sache auf dem Wege des bürgerlichen Gerichtsverfahrens zu erledigen, wo Schränke mit Akten verbrennen, und wo man durch eine Fülle von unwahren, fremdartigen Anzeigen und lügnerischen Denunziationen die an sich schon hinreichend dunkle Angelegenheit noch mehr zu verdunkeln sucht, in einem solchen Falle halte ich das Kriegsgericht für das einzige Mittel, und ich wünsche darüber Ihre Meinung zu hören.«
    Der Fürst hielt inne, als warte er auf eine Antwort. Alle standen mit gesenkten Blicken da. Viele waren blaß geworden.
    »Auch noch eine andere Sache ist zu meiner Kenntnis gelangt, obgleich die daran Beteiligten fest überzeugt sind, daß sie niemandem bekannt sein könne. Auch hier ist eine Untersuchung auf dem aktenmäßigen Wege ausgeschlossen, und zwar weil ich selbst dabei als Petent und Kläger auftreten werde. Die Beweise, die ich vorbringen werde, sind völlig evident.«
    Unter der Schar der Beamten zuckte einer zusammen; auch einige andere, die von ängstlicher Natur waren, verloren die Fassung.
    »Es versteht sich von selbst, daß der Haupträdelsführer mit dem Verluste seines Ranges und Vermögens, die übrigen mit Entlassung aus ihren Ämtern bestraft werden müssen. Natürlich werden mit diesen zusammen auch eine Menge Unschuldiger leiden. Aber was ist zu machen? Die Sache ist gar zu ehrlos und schreit nach Ahndung. Ich weiß zwar, daß dies anderen nicht einmal zur Lehre dienen wird; denn an die Stelle der Weggejagten werden andere treten, die nicht besser sind, und diejenigen, die bisher ehrenhaft waren, werden ehrlos werden, und diejenigen, die man des Vertrauens würdigt, werden Betrug und Verrat begehen; aber trotz alledem muß ich streng verfahren, weil die Sache geradezu himmelschreiend ist. Ich weiß, daß man mich einer übermäßigen Härte beschuldigen wird; aber die Schuld tragen diejenigen, die sich so schwer vergangen haben.«
    Ein Zittern lief unwillkürlich über alle Gesichter.
    Der Fürst war ruhig. Weder Zorn noch seelische Erregung prägte sich auf seinem Gesichte aus.
    »Derselbe Mann, in dessen Händen das Schicksal so vieler Menschen liegt und den bisher keine Bitten haben erweichen können, derselbe Mann richtet jetzt an Sie alle eine Bitte. Alles soll vergeben und vergessen sein, und ich will Ihr Fürsprecher werden, wenn Sie meine Bitte erfüllen. Meine Bitte aber ist diese. Ich weiß, daß es durch kein Mittel, durch keine Drohungen und durch keine Bestrafungen möglich ist, das Übel auszurotten; es hat schon zu tief Wurzel geschlagen. Das ehrlose Verfahren, Geschenke anzunehmen, ist sogar für diejenigen zur Notwendigkeit und zum Bedürfnisse geworden, die nicht zur Unehrlichkeit geboren sind. Ich weiß, daß es für viele schon beinahe ein Ding der Unmöglichkeit ist, gegen den Strom zu schwimmen. Aber jetzt, in einem entscheidenden, heiligen Augenblicke, wo es gilt, das Vaterland zu retten, und wo jeder Bürger alles erträgt und alles zum Opfer bringt, jetzt muß ich wenigstens an diejenigen unter Ihnen einen Ruf ergehen lassen, die noch ein russisches Herz in der Brust und für das Wort ›Ehrenhaftigkeit‹ Verständnis haben. Wozu sollen wir hier davon reden, wer von uns die größere Schuld trägt? Vielleicht bin ich mehr schuld als Sie alle; vielleicht ist mein Verhalten gegen Sie von vornherein zu mürrisch und finster gewesen; vielleicht habe ich durch übermäßiges Mißtrauen diejenigen von Ihnen zurückgestoßen, die den aufrichtigen Wunsch hegten, mir nützlich zu sein. Aber wenn diese Männer wirklich Recht und Gerechtigkeit liebten und ein Herz für das Wohl ihres Landes hatten, so durften sie sich nicht durch das Hochfahrende meines Benehmens verletzt fühlen; sie mußten ihr Selbstgefühl unterdrücken und ihr eigenes Ich zum Opfer bringen. Ich hätte mit Sicherheit ihre Selbstverleugnung und ihre hohe Liebe zum Guten bemerkt und dann nützliche, kluge Ratschläge von ihnen entgegengenommen. Schließlich muß sich doch eher der Untergebene nach dem Charakter des Vorgesetzten richten als der Vorgesetzte nach dem Charakter des Untergebenen. Wenigstens entspricht das mehr der gesetzlichen Ordnung und ist auch leichter durchführbar, weil die Untergebenen nur einen Vorgesetzten haben, der Vorgesetzte aber Hunderte von Untergebenen. Aber lassen wir jetzt die Frage beiseite, wer die größere Schuld trägt! Jetzt handelt es sich darum, unser Vaterland zu retten; dieses geht nicht zugrunde durch den Angriff zwanzig
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