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Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Giuliano Pasini
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öffnet. Weiß und blutend, die des Ungeheuers. Aus seinem Mund sprechen tausend tote Seelen.
    »Es gibt keine Rettung für diejenigen, die die Gerechtigkeit der Märtyrer behindern.« Er zieht etwas aus der Tasche des Militärmantels und wirft es in den Schnee. Die Papiere der Zanarinis. »Dafür sind sie gestorben. Dafür ist Guerzoni gestorben. Dafür ist Bondi gestorben. Dafür stirbst du. Jetzt.« Ein Urteilsspruch. Es gibt keinerlei Anzeichen für einen Zweifel. Er hebt erneut die Waffe.
    Roberto hat keine Angst. Ohne nachzudenken, sucht er seinerseits einen Gegenstand in seiner Tasche. Mit letzter Kraft zieht er das von Briscola geschnitzte Ypsilon heraus.
    »Was ist aus den Idealen von Mut, Treue, Liebe für diese Gegend und ihre Menschen geworden, die dieses Stück Holz repräsentiert?«, kann er noch mit fester Stimme fragen, dann wird die Welt schwarz. Jetzt bloß nicht ohnmächtig werden! »Das war es, was du in meinem Zimmer gesucht hast. Hiernach hast du Bondi gefragt, bevor du ihn umgebracht hast.«
    Die Blut weinenden weißen Augen fixieren das Symbol der Brigade Ypsilon so intensiv, dass es aussieht, als wollten sie es in Flammen aufgehen lassen. Der Mund des Mannes verzerrt sich. Er gibt eine Art Stöhnen von sich, das immer stärker anschwillt, bis es schließlich zu einem ungeheuerlichen Klagegeheul wird.
    In dem Augenblick erreicht Alice den Torbogen, verschwitzt und voller Schnee. Es war ihr unmöglich gewesen, in der Wohnung zu warten, bis die von Bernini versprochene Verstärkung eintrifft, in Gesellschaft eines Leichnams und eines Menschen, der ihn beweinte. Sie musste herkommen, bis zum Knie im Schnee versinkend und dem Wind trotzend.
    Sie sieht sie. Zwei Männer im Schneesturm. Liest in ihren Augen. Sieht die Pistole. Auf einer Seite ein Blick, an dem nichts Menschliches mehr ist. Auf der anderen der eines Menschen, der sich dem Tod ergeben hat.
    »Nein!«, ruft sie, doch ihr Schrei wird ausgelöscht von dem, der aus dem Mund des Mannes dringt, den sie als Valerio Manzini kennengelernt hat. Der Schrei von Tausenden Toten, die nach Gerechtigkeit verlangen.
    Als sie sich erinnert, dass sie auch eine Waffe hat, ist es zu spät.
    Ein Schuss.
    Roberto dreht sich um sich selbst. Mit dem Blick sucht er den ganzen Platz ab. Er bemerkt die Frau mit den roten Haaren, die auf ihn zuläuft.
    Es tut mir leid, Alice. Es war vergebens.
    Er bricht zu Füßen des Engels zusammen. Er spürt keinen Schmerz mehr.
    Den Kopf auf die mit warmem Blut getränkte Schneedecke gelegt, sieht er einen Teil der Inschrift.
    »Mögen die Märtyrer in Frieden ruhen«, liest er.
    Danach nur noch der Wind.

SOMMERSONNENWENDE 1995

Epilog
    D ie Temperatur ist angenehm, es ist warm, ohne heiß zu sein. Roberto hätte nicht gedacht, dass der Himmel so blau sein kann.
    Zum ersten Mal seit dem Unfall ist es ihm gelungen, sich vorzubeugen, um sich die Laufschuhe zu schnüren. Der lange Krankenhausaufenthalt und die stechenden Schmerzen haben ihn gelehrt, auch scheinbar unbedeutende Ziele schätzen zu lernen.
    Er tritt aus der Tür des Kommissariats, nachdem er einen kurzen Gruß mit Marco Rinaldini gewechselt hat, dem Agente, der vor wenigen Monaten gekommen ist, um die Besetzung der kleinsten Polizeistation Italiens zu vervollständigen. Ein anständiger junger Mann, der nicht weit entfernt von Case Rosse geboren wurde und dem es innerhalb weniger Wochen gelungen ist, das Vertrauen der Leute zu gewinnen.
    Wesentlich mehr, als es mir je gelungen wäre. Um Längen. In Case Rosse hat der Junge sein Maß gefunden. Oder vielleicht ist der Strudel auch schon dabei, ihn zu verschlingen.
    Alice erwartet ihn auf der Piazza. Sie trägt Hosen und ein ärmelloses Sporttrikot, und alle, die wie immer vor Alvers Osteria herumlungern, drehen sich nach ihr um. Nachdem sie sich zudem versichert haben, dass es sich um keine optische Täuschung handelt und dass der Mann neben ihr in kurzen Hosen Roberto Serra ist, grüßen sie ihn, indem sie das eine oder andere Glas heben.
    In all den Monaten der Rehabilitation ist sie stets dabei gewesen, jetzt wollte sie den großen Augenblick nicht verpassen. Sie wird ihn auf seinem ersten Lauf seit mehr als sechs Monaten begleiten, mit dem er dem Plan von Doktor Sassi dennoch voraus ist. Die Fortschritte sind wirklich verblüffend.
    »Morgen werde ich Muskelkrämpfe und Schmerzen in den Beinen haben, aber ich freue mich schon auf das Gefühl«, sagt er und entlockt ihr ein Lächeln. In ihrer Geschichte musste
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