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Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Goga
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Medizin, wie der offizielle Name lautete, mit seiner gelben Ziegelfassade und den hohen Bogenfenstern einen freundlichen Anblick, doch die Abneigung gegen die düsteren Räume, in denen die Gerichtsärzte ihrer Arbeit nachgingen, hatte er nie überwunden. Robert Walther war da ganz anders, er konnte unmittelbar nach einer Sektion herzhaft in eine Wurststulle beißen, während Leo es vorzog, in den folgenden Stunden nüchtern zu bleiben. Mal sehen, wie der junge Sonnenschein sich machte.
    Hut ab, dachte Leo, als er bemerkte, wie sich der neue Kollege aufmerksam umschaute, in Vitrinen blickte und die Plakate studierte, mit deren Hilfe man versuchte, unbekannte Tote zu identifizieren. Manchmal wurden die Leichen auch in speziellen Räumlichkeiten auf eine Platte geschnallt, aufgerichtet und öffentlich ausgestellt. Mitunter gelang es tatsächlich, Unbekannte auf diese Weise zu identifizieren, doch meist wurden damit nur sensationslüsterne Zuschauer angelockt.
    Im Flur kam ihnen der Institutsleiter Dr.   Strassmann entgegen, den Leo sehr schätzte. Er hatte viel für das Ansehen der Gerichtlichen Medizin geleistet und war unverzichtbar für die Arbeit der Kriminalpolizei. Leo lüpfte grüßend den Hut.
    »Herr Wechsler, freut mich. Ich hoffe, Sie sind einverstanden,dass Lehnbach die Sektion übernimmt, ich habe leider einen wichtigen Termin. Wir arbeiten seit Jahren daran, die Gerichtliche Medizin zum Prüfungsfach im Rahmen des Medizinstudiums zu machen. Ein gewaltiger Fortschritt, auch für die Polizei. Aber man legt uns Steine in den Weg, die ich mühsam wegräumen muss.« Er eilte in Richtung Ausgang.
    Strassmann war eine echte Koryphäe. Leo hätte ihn gern dabeigehabt, auch wenn er schon oft und gut mit Lehnbach zusammengearbeitet hatte.
    Lehnbach öffnete die Tür zum Sektionssaal und bat sie herein. Leo atmete tief durch und trat als Erster durch die Tür. Sie stellten sich einen Meter vom Tisch entfernt auf. Ihm kam es immer obszön vor, einen nackten Leichnam vor sich liegen zu sehen, den Instrumenten und Blicken preisgegeben. Natürlich war es nur ein toter Körper, aber ihm erschienen die Vorgänge bei der Sektion ähnlich ungeheuerlich wie das, was die Täter zuvor mit den Opfern angestellt hatten.
    Der Körper der Toten war noch straff und zeigte kaum Spuren des Alters. Er erinnerte sich, dass Clara von YogaÜbungen am Strand erzählt hatte. Vermutlich hatte Henriette Strauss auch sonst auf ihre Gesundheit geachtet. Auffallend war das goldbraune Haar, das auch im Tod noch leuchtete.
    Lehnbach hatte bereits mit der Arbeit begonnen und einen Y-förmigen Einschnitt im Oberkörper vorgenommen. Konzentriert hörte Leo sich seine Ausführungen an und versuchte, möglichst durch den Mund zu atmen. Lehnbach entnahm nacheinander die inneren Organe, wog sie und verzeichnete die Angaben in einem Register.
    »Können Sie schon etwas sagen?«, erkundigte sich Leo.
    Lehnbach, der gerade die Lunge untersuchte, blickte auf. »Nun, wir haben es mit einem ausgeprägten Lungenödem zu tun. Darunter versteht man eine Ansammlung von Flüssigkeit in der Lunge, die die Atemluft verdrängt und so zu akuten Atemproblemen führt.«
    »Ist das ein übliches Symptom bei einer Lungenentzündung?«, fragte Leo sofort.
    Der Gerichtsarzt wiegte nachdenklich den Kopf. »Es ist eher umgekehrt. Ein Patient hat Flüssigkeit in der Lunge, was wiederum zu einer Entzündung führt.«
    Jakob Sonnenschein räusperte sich. »Wäre es denkbar, dass die Tote zuerst an diesem Ödem gelitten hat und dadurch an der Lungenentzündung erkrankt ist?«
    Er sah Leo fragend an, der zustimmend nickte.
    Der Arzt beugte sich wieder über den offenen Brustkorb und entnahm Proben des Lungengewebes. »Das halte ich für unwahrscheinlich. Wir haben es hier mit einer insgesamt gesunden Frau zu tun. Das Herz ist beispielsweise in einem ausgezeichneten Zustand, was gegen ein Ödem infolge einer Herzschwäche spricht.«
    Leo spürte eine Spannung im Raum, ein leises Kribbeln, das ihn bisweilen überkam, wenn ein Fall eine wichtige Wendung nahm.
    »Was könnte dann die Ursache für die Flüssigkeit in der Lunge sein?«, fragte Walther.
    Lehnbach sah die drei Kriminalbeamten leicht enerviert an. »Meine Herren, ich kann Ihre Ungeduld verstehen. Dennoch möchte ich Sie bitten, mich meine Arbeit abschließen zu lassen.«
    Er widmete sich wieder seiner Tätigkeit, worauf Leo zur Tür ging und in den Flur hinaustrat, um andere Luft zu atmen. Er ahnte, dass Lehnbach etwas
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