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Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Titel: Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
Autoren: Sam Sykes
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reflektierte, würde es mich blenden.«
    Sie glaubte, im Spiegel den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht zu bemerken. Falls es wirklich eines gewesen sein sollte, war es verschwunden, als er mit dem Rasiermesser über seine Kopfhaut fuhr und mit einer kurzen Bewegung seines Handgelenks den Schaum in das Waschbecken schnippte.
    »Mein Haar ist schwarz«, gab er zurück, »wie das jedes Mannes aus Cier’Djaal.«
    Sie murmelte, rollte sich auf den Bauch und stützte ihr Kinn auf die Hände. »Ich bin wirklich froh, dass meine Poesie nicht an heidnische Ohren verschwendet wird.«
    »Der Begriff ›heidnisch‹ bezeichnet in der allgemein verbreiteten Landessprache einen Mann, der nicht an Götter glaubt. Da ich keinem Glauben fröne, hast du nicht ganz unrecht. Da jedoch keine Götter existieren, liegst du vollkommen falsch.« Diesmal lächelte er ihr im Spiegel zu, als er das Rasiermesser erneut auf seinem Schädel ansetzte. »Außerdem habe ich nicht für Poesie bezahlt.«
    »Dann ist es mein Geschenk an Euch«, erwiderte Anacha, stand auf und verbeugte sich anmutig.
    »Geschenke werden normalerweise mit der Erwartung überreicht, dass man sie zurückgibt.« Er ließ die Worte in der Luft schweben wie die Axt eines Henkers, während er ein weiteres Stück Kopfhaut rasierte.
    »Erwidert.«
    »Wie?«
    »Wenn das Geschenk zurückgegeben würde, würdet Ihr mir einfach nur dasselbe Gedicht zurückgeben. Wenn Ihr es erwidern würdet, bedeutete das, dass Ihr mir ein Gedicht von Euch schenken würdet.«
    Der Mann hielt inne, tippte sich mit dem Rasiermesser ans Kinn und summte nachdenklich. Dann legte er eine Hand auf seinen Mund und räusperte sich.
    »Es gab einmal einen Burschen aus Allssaq ...«
    »Halt!«, unterbrach sie ihn und hob eine Hand. »Manchmal kann eine Person einer anderen auch ein Geschenk machen, ohne dass es ihr vergolten wird.«
    »Ohne dass es erwidert wird.«
    »In diesem Fall dürfte mein Ausdruck treffender sein.« Sie zog einen Morgenmantel über, sah ihn im Spiegel an und runzelte die Stirn. »Die Sonne schläft immer noch, denke ich. Ihr müsst noch nicht gehen.«
    »Das habe weder ich zu bestimmen«, erwiderte der Mann, »noch du.«
    »Findet Ihr es nicht besorgniserregend, dass Ihr Eure Entscheidungen nicht selbst treffen könnt?«
    Im selben Moment bedauerte Anacha ihre Worte, weil sie wusste, dass er diese Frage ebenso gut ihr hätte stellen können. Sie vermied sorgfältig seinen Blick und sah zur Tür, der Tür, die sie niemals mehr durchqueren würde, und die auf den Korridor hinausging, der zu der Wüste führte, die sie niemals wiedersehen würde.
    Sie rechnete es Bralston hoch an, dass er stumm blieb.
    »Ihr könnt nicht etwas später gehen, oder?«, drängte sie ihn, kühner geworden.
    Lautlos glitt sie hinter ihn, schlang ihre Arme um seine Taille und zog ihn dichter an sich. Sie atmete tief sein Aroma ein, roch die Nacht an ihm. Sein Duft blieb noch einige Stunden hängen, nachdem er verschwunden war, wie sie schon oft bemerkt hatte. Wenn er am Abend zu ihr kam, roch er nach den Märkten und dem Sand der Welt da draußen. Verließ er sie am Morgen, duftete er nach ihrem Zimmer, nach ihrem Gefängnis aus Seide und Sonnenlicht.
    Erst wenn der Mond am Himmel stand, roch sie ihn und sich selbst, roch, wie sich ihre Düfte vereinten, wie sich ihre Körper in der Nacht zuvor vereint hatten. Sie nahm eine Mischung aus Mondlicht und flüsterndem Sand wahr, so einzigartig wie eine seltene Orchidee. An diesem Morgen war sein Duft noch ein wenig länger als gewöhnlich geblieben, und sie inhalierte ihn tief wie eine Süchtige.
    »Oder geht überhaupt nicht«, fuhr sie fort und zog ihn noch enger an sich. »Das Venarium kann auch einen Tag ohne Euch auskommen.«
    »Was es auch häufig genug tut«, gab er zurück und ließ seine freie Hand zu ihrer heruntersinken. Sie fühlte die Elektrizität auf seiner Haut, sehnte sich danach, dass seine Lippen die Worte aussprachen, die sie erlösen würden. Der leise Seufzer, mit dem er ihre Hand von seiner Taille löste, um sich weiter zu rasieren, klang fast wie ein Wimmern.
    »Und heute hätte auch ein solcher Tag werden sollen. Doch dass er es nicht geworden ist, bedeutet auch, ich darf ihn nicht versäumen.« Er schabte eine weitere Schicht Schaum von seinem Schädel. »Im Venarium werden nur selten Zusammenkünfte zu dieser frühen Stunde einberufen.« Ein weiterer Streifen Schaum verschwand. »Und eine Konferenz der Bibliothekare wird zu dieser
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