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Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Titel: Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
Autoren: Sam Sykes
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also kann ich sie einfach nicht verstehen? Sie starrt mich ständig an. Sie redet mit mir ebenso wenig wie mit allen anderen, aber sie starrt nur mich an. Voller Hass? Oder Neid? Weiß sie, was ich mit der Fibel gemacht habe? Hasst sie mich deswegen?
    Sie sollte glücklich sein, oder nicht? Die Stimme rät mir, sie zu massakrieren, sie zu töten. Ihr Gestarre bewirkt nur, dass die Stimme immer lauter wird. Dadurch, dass ich in der Fibel lese, gelingt es mir wenigstens, Kataria ansehen zu können, ohne das Gefühl zu bekommen, mein Kopf würde brennen.
    Nur wenn sie schläft, kann ich sie ungeniert betrachten. Dann
sehe ich sie, wie sie ist ... und werde selbst dann nicht aus ihr schlau. Ich kann sie so lange anstarren, wie ich will, aber ich kann einfach nicht...
    Süßer Khetashe, diese ganze Sache ist ein bisschen sonderbar, oder?
    Wir haben die Fibel. Allein das zählt. Schon bald werden wir sie gegen Gold eintauschen, uns damit Schnaps und Huren kaufen und abwarten, wer uns als Nächstes engagiert. Vorausgesetzt natürlich, dass wir es bis zu unserem Treffpunkt schaffen, zur Insel Teji. Uns bleibt noch eine Nacht, um das zu bewerkstelligen. Seit ich angefangen habe zu schreiben hat sich jedoch kein einziges Lüftchen mehr geregt, und wir dümpelten auf dem tiefen, endlosen Meer.
    Es wäre eitel, sich Hoffnungen zu machen.

Auf dem Land nahte der Morgen nie so still.
    In den weit verstreuten Oasen in der Wüste herrschte Lärm selbst dort, wo alle anderen Geräusche erstorben schienen. Das Morgengrauen wurde vom Gezwitscher der Vögel begleitet, vom Knarren der Betten, wenn sich die Menschen erhoben und vor ihrem Tagewerk ein karges Frühstück aus Brot und Wasser verzehrten. Auf dem Land kam mit der Sonne das Leben.
    In der Stadt endete das Leben mit der Sonne.
    Anacha blickte von ihrem Balkon aus über Cier’Djaal, als die Sonne über die Hausdächer aufstieg und zwischen Türmen hindurchlinste, um auf die sandigen Straßen unter ihr zu scheinen. Die Stadt schien sich daraufhin noch weiter in sich zurückzuziehen, raffte die Schatten wie eine Decke über sich und bedeutete dem Gestirn, sie noch etwas länger schlafen zu lassen.
    Kein Vogelgesang drang an Anachas Ohren; Händler verkauften diesen Gesang auf dem Markt für Preise, die sie sich nicht leisten konnte. Kein Geräusch von knarrenden Betten war zu hören; die Klienten schliefen auf Kissen auf dem Boden, damit sie die Hetären nicht weckten, wenn sie spätnachts gingen. Kein Brot, kein Wasser; das Frühstück wurde serviert, wenn die Kunden gegangen waren und die Mädchen sich von der Nacht erholten.
    Ihr Gesicht verfinsterte sich, als sie das Gerüst und die Ziegelsteine eines Turms betrachtete, der direkt vor ihrem Balkon errichtet wurde. Sie hatte gehört, wie die Arbeiter sagten, er wäre in einem Jahr fertig.
    Ein Jahr, dachte sie, dann stiehlt mir die Stadt auch noch die Sonne.
    Ihre Ohren zuckten, als sie das Schaben des Rasiermessers hörte. Wie jeden Morgen erschien es ihr seltsam, dass dieses scharfe, unangenehme Geräusch ein Lächeln auf ihre Lippen zauberte. Und ebenso eigentümlich fand sie es, dass dieser Klient sich die Zeit nahm, sich jedes Mal zu rasieren, wenn er sie besuchte.
    Sie drehte sich auf ihrem Sitzkissen herum und betrachtete den Hinterkopf des Mannes. Er war rund und bronzefarben wie der Rest seines nackten Körpers. Sein Gesicht in dem Spiegel über ihrem Waschbecken war ruhig; die Linien, die sich im Lauf des Nachmittags zu Falten der Anstrengung vertiefen würden, waren noch kaum zu erkennen. Augen, die er später zum Schutz vor der aufgehenden Sonne zusammenkneifen würde, spiegelten sich jetzt strahlend blau in dem Glas, als er sorgfältig mit dem Rasiermesser über seine schaumbedeckte Kopfhaut fuhr.
    »Ich wette, Ihr habt wunderschönes Haar«, sagte sie vom Balkon aus. Da er sich nicht umdrehte, räusperte sie sich und sprach lauter weiter. »Lange, dichte Locken roten Haares, das Euch bis zu den Pobacken reichen würde, gäbt Ihr ihm nur zwei Tage, um zu wachsen.«
    Er hielt inne und presste die eben erwähnten Pobacken zusammen. Sie kicherte und richtete sich auf ihrem Kissen auf, sodass sie ihn von unten nach oben ansehen konnte. Sie stellte sich den Fluss aus Feuer vor, der von seiner Kopfhaut herunterströmen würde.
    »Ich könnte darin schwimmen«, seufzte sie, »Stunden um Stunden. Es würde keine Rolle spielen, ob die Sonne scheint oder nicht. Selbst wenn Euer Haar nur das Licht einer einzelnen Kerze
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