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Die Tore zu Anubis Reich

Die Tore zu Anubis Reich

Titel: Die Tore zu Anubis Reich
Autoren: Tim Powers
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getrunken und wäre vielleicht nicht von selbst aufgewacht.
    Er richtete sich auf und blickte zwinkernd in der geräumigen Kabine umher. Die Lampen waren eingeschaltet, und jenseits des kleinen Fensters war nur fleckige Schwärze - es war wieder Nacht, obwohl er sich erinnerte, daß er erst vor ein paar Stunden den Morgen über eisigen Ebenen hatte heraufziehen sehen. Flugreisen mit Düsenmaschinen waren schon verwirrend genug, wenn man nicht die Polroute flog, die es einem unmöglich machte, zu erraten, welche Tageszeit war. Als er das letzte Mal in England gewesen war, hatte es eine Zwischenlandung in New York gegeben, aber dafür hatte es Darrows Forschungsinstitut natürlich viel zu eilig.
    Er streckte sich, so gut er es in seinem Sitz vermochte, und ein Buch und verschiedene Papiere rutschten von der herausklappbaren Ablage vor ihm und polterten und flatterten zu Boden. Eine Dame auf der anderen Seite des Mittelgangs schrak zusammen, und er lächelte ihr in verlegener Abbitte zu, bevor er sich niederbeugte und das Zeug aufhob. Als er es sortierte und die vielen Leerstellen und Fragezeichen bemerkte, fragte er sich trübe, ob es ihm wenigstens in England gelingen werde - denn er war entschlossen, diesen Freiflug zur Förderung seiner eigenen Forschung zu nutzen - Material über den Dichter aufzutreiben, dessen maßgebliche Biographie er seit zwei Jahren zu schreiben versuchte. Coleridge war einfach, dachte er, als er die Papiere in die Aktentasche zwischen seinen Füßen steckte; William Ashbless ist nicht viel mehr als ein verdammter Namenszug.
    Das zu Boden gefallene Buch war Baileys William Ashbless' Leben und Wirken. Es war offen gelandet, und mehrere der spröden, altersbraunen Seiten waren zerbrochen und herausgefallen. Er ordnete sie sorgsam wieder ein, schloß das Buch vorsichtig und streifte Staub von den Fingern. Dann betrachtete er nachdenklich den wenig hilfreichen Band.
    Es wäre eine Untertreibung, zu sagen, daß Ashbless' Leben spärlich dokumentiert sei. William Hazlitt hatte 1825 eine kurze Darstellung seines Schaffens gegeben und dabei eher zufällig einige biographische Einzelheiten geliefert, und Ashbless' enger Freund James Bailey hatte die leisetreterische Biographie verfaßt, die mangels anderer Schriften als Standardwerk betrachtet wurde. Es war Doyle gelungen, den dürftigen Stoff durch ein paar erhellende Briefe und Zeitungsartikel und Polizeiberichte zu ergänzen, doch klafften noch immer zahlreiche Lücken in der fragmentarisch überlieferten Lebensgeschichte des Dichters.
    Welcher Ort in Virginia war es, um nur ein Beispiel zu nennen, wo Ashbless von seiner Geburt bis zum Jahr 1810 gelebt hatte? Er selbst hatte einmal Richmond und ein anderes Mal Norfolk genannt, doch waren bisher in keiner der beiden Städte Unterlagen gefunden worden, die über ihn hätten Aufschluß geben können. Doyle ging von der Annahme aus, daß der unbequeme Poet seinen Namen geändert hatte, als er in London eintraf, und er hatte die Namen mehrerer Virginier ausfindig gemacht, die im Sommer des Jahres 1810 im Alter von ungefähr fünfundzwanzig Jahren verschwunden waren. Ashbless' Jahre in London waren ziemlich leicht zu verfolgen - obgleich die Bailey-Biographie, da sie Ashbless' eigene Version darstellte, von zweifelhaftem Wert war -, und seine kurze Reise nach Kairo um 1811 war zwar unerklärlich, aber wenigstens eine aktenkundige Tatsache.
    Was fehlt, dachte Doyle bekümmert, sind die Einzelheiten - und einige der nicht dokumentierten Abschnitte quälten seine Neugierde. Da gab es etwa seine mögliche Verbindung mit jenen Ereignissen, denen Sheridan die bleibende Bezeichnung »Tollheit der tanzenden Affen« verliehen hatte: die überraschende Zahl von - nach nüchternen Berichten sechs, nach übertriebenen dreihundert - fellbedeckten, menschenähnlichen Geschöpfen, die während des Jahrzehnts zwischen 1800 und 1810 eins nach dem anderen in und um London aufgetreten waren; allem Anschein nach menschliche Wesen, übertrafen sie den Schrecken, den sie mit ihrem plötzlichen, wild herumspringenden Erscheinen verbreiteten, noch dadurch, daß sie bald darauf zu Boden fielen und unter heftigen Zuckungen starben. Madame de Staël notierte, daß Ashbless ihr einmal im Zustand der Trunkenheit anvertraut habe, er wisse mehr über diese eigentümliche Seuche als er jemals mitzuteilen wagte, und es war ziemlich sicher, daß er eine Woche nach seiner Ankunft in London eine der Kreaturen in einem Kaffeehaus in der
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