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Die Toechter Egalias

Die Toechter Egalias

Titel: Die Toechter Egalias
Autoren: Gerd Brantenberg
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Handelsgesellschaften.
    Die Insel Luksus hatte keinen großen Anteil an der Entwicklung, die Egalsund so schön und reich gemacht hatte. Hier ging das Fischerinnenleben weiter wie eh und je: wechselhaft, mit großen Erfolgen und bitteren Rückschlägen. Auf dem äußersten Geröllstein im Süden stand das Denkmal eines Fischerinnenmannes aus Stein. Das Denkmal war weit und breit bekannt und wurde jedes Jahr von vielen Touristinnen besucht. Der Mann der Fischerin starrt zum Horizont und wartet vergeblich auf die Draußengebliebene. Sein suchendes Steingesicht drückt die Beständigkeit seiner Hoffnung und seines Wartens aus. Es ergreift alle, die es sehen.
    Einige behaupteten, die Künstlerin sei durch die Geschichte vom gemütskranken Fischermann Baraldus Myr inspiriert worden, der zu den Leuten von der Maibucht gehörte — zum Fischerinnengeschlecht der Maibucht auf der Westseite der Insel Luksus. Baraldus Myrs Frau, Maria Maibucht Süd, kehrte von einer Fahrt nicht mehr zurück. Und jeden Tag, solange er lebte, war Baraldus zum Kullersteinstrand im Süden gelaufen und hatte nach Maria Ausschau gehalten. Seit ihrem Verschwinden war er nicht mehr zurechnungsfähig.
    Nein, es wäre äußerst ungerecht, wollte dam behaupten, Egalsund habe die harten Leiden und den mutigen Einsatz der Fischerinnen vergessen. Im Gegenteil, die Stadt wußte, daß auf dieser Grundlage der Fortschritt der modernen Zeit beruhte. „Was wären wir wohl ohne die prächtigen Seefrauen, die vor uns da waren?“ lautete ein allgemeiner Ausspruch, der stets Beifall erntete und bei den Leuten ein starkes Heimatgefühl weckte. Wenn die Leute daran dachten, wie arm diese Fischerinnen gewesen waren, bekam ihre Stadt in Gedanken eine wehmütige Schönheit. Der Kleine Speerbeißer hatte den Anfang des Untergangs für die Fischerinnen bedeutet. Ursprünglich hatten sie alle Arten Fische gefangen — nach traditionellen Fangmethoden, die über Generationen hin von der Mutter auf die Tochter vererbt worden waren. Aber nach und nach entwickelte sich bei der Festlandsbevölkerung — und speziell bei der wachsenden Stadtbevölkerung — ein besonderer Geschmack. Der Haifisch wurde immer beliebter. Bei den Fischerinnen war der Hai seit Menschengedenken bekannt und gefürchtet. Er konnte nur unter besonders günstigen Verhältnissen gefangen werden. Der Hai hatte nämlich die Fähigkeit entwickelt, die Tricks der Wibschen zu durchschauen, was von anderen Fischen nicht bekannt war. So entfernte er beispielsweise geschickt den Köder vom Haken. Wurde er mit der Schnur gefangen, zerschnitt er diese mit Hilfe der innersten Zahnreihe. Im Sommer jedoch gingen kühne Taucherinnen auf die Jagd und töteten ihn mit dem Speer. Das erforderte grenzenlose Ausdauer und viel List, denn der Hai mußte aus dem Hinterhalt angegriffen werden. Öfters passierte es, daß er mit einem einzigen Zuschnappen den Speer der Taucherinnen durchbiß, obgleich der Fisch ziemlich klein war. Doch war der Rachen unverhältnismäßig groß. Dies war der Grund, warum er der Kleine Speerbeißer genannt wurde.
    Das Interesse an den Speerbeißern und vor allem an deren Leber war indessen nicht zu bremsen. Es entwickelte sich eine regelrechte Speerbeißermanie bei den Egalsunder Hausmännern. Sie kreierten die raffiniertesten Rezepte, wie Speerbeißerragout und Speerbeißerfrikassee. Die Hausfreundblätter druckten farbenprächtige Bildgeschichten über Speerbeißer als Erfrischungsimbiß, Speerbeißersuppe und Speerbeißercocktail. Ja, eine Zeitlang konnten sich Männer kein Gericht mehr vorstellen, ohne daß wenigstens eine Prise von dem wohlschmeckenden Speerbeißerfleisch als Zutat verwendet wurde.
    „Pikanter Geschmack“, meinten die Egalitaner zufrieden und kauften weiter. Und da an den Speerbeißer natürlich schwer ranzukommen war und er dementsprechend teuer wurde, war er bald eine Prestigeangelegenheit für die besseren Haushalte der Stadt. Die Fischerinnen auf Luksus taten ihr möglichstes, um den Haifisch zu beschaffen. Wie so oft in der Geschichte mußten die Frauen dafür kämpfen, die launenhaften Begierden der Männer zu befriedigen.
    Der unvergleichliche Geschmack des Speerbeißers war inzwischen nicht der einzige Grund, warum dieser Fisch im Bewußtsein der Egalitaner zu einem so hochbewerteten Geschöpf geworden war. Die Meeresforscherinnen wußten nämlich zu erzählen, daß seine Intelligenz sich nicht nur in der außerordentlichen Fähigkeit zeigte, die Fangmethoden der
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